Auswahl für den Ersatz von Folienkondensatoren

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ID: 634292
? Auswahl für den Ersatz von Folienkondensatoren 
05.Sep.23 11:41
238

Thorsten Hirschböck (A)
Beiträge: 6
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Sehr geehrte Mitglieder,

Ich möchte in diesem Artikel Ihren fachkundigen Rat einholen, welche Folienkondensatoren derzeit auf dem Markt verfügbar sind und von Ihnen in Ihren Röhrengeräten verbaut werden. Mein Fokus liegt auf aktuell produzierte Neuwaren, die im Handel erhältlich sind. Insbesondere interessiere ich mich für Anwendungen in der NF-Stufe und in Klangstellnetzwerken.

Ich habe bereits eine kleine Auswahl an Folienkondensatoren zusammengestellt, von denen einige bereits in meinen Projekten verbaut wurden, während ich bei anderen noch unschlüssig bin, ob sie geeignete Alternativen darstellen.

 

Spannungsfestigkeit:

Wie dimensionieren Sie Ihre Folienkondensatoren? Es wird oft empfohlen, dass eine Spannungsfestigkeit von mindestens 400VDC erforderlich ist, um auftretende Spannungsspitzen ohne Probleme bewältigen zu können. In meinen Projekten gehe ich einen Schritt weiter und verwende Kondensatoren mit einer Spannungsfestigkeit von 630VDC. Eine Ausnahme besteht, wenn der Schaltplan oder die Beschriftung des alten Kondensators eine Spannung von 1000VDC erfordert, zum Beispiel bei der Anode einer EL84 an einem Ausgangsübertrager.

In solchen Fällen verwende ich Kondensatoren mit einer Spannungsfestigkeit von 1000-2000VDC, um Spannungsspitzen effektiv abzudecken.

 

Typen und Bezugsquellen für geeignete Folienkondensatoren:

Derzeit verwende ich die folgenden Typen:

 

Roederstein MKT 1813 (unter der Marke Vishay gelistet):

Toleranz: 5% | Spannung: 630VDC | Typ: MKT (PET)

Anwendungen: Blockierung, Umleitung, Filterung, Zeitsteuerung, Kopplung und Entkopplung, Unterdrückung von Störungen in Niederspannungsanwendungen.

 

WIMA MKP4:

Toleranz: 5% oder 10% |  Spannung: 630VDC | Typ: MKP (PP)

Anwendungen (gemäß dem Applikationsleitfaden): Einsatz in frequenzbelasteten Anwendungen wie Sample-and-Hold-Schaltungen, Zeitsteuerungen, Schwingkreisen, Hochfrequenzkopplung und -entkopplung.

 

WIMA MKP10 Impulskondensatoren:

Toleranz: 5% oder 10% | Spannung: 1000VDC oder 2000VDC | Typ: MKP (PP)

Anwendungen (gemäß dem Applikationsleitfaden): Einsatz in impulsbelasteten Anwendungen wie Schaltnetzteilen, Fernseh- und Monitortechnik, Lichttechnik, Audio- und Videobereich.

Könnten die folgenden Alternativen ebenfalls gute Optionen sein?

 

Vishay MKT 368:

Toleranz: 5% oder 10% | Spannung: 630VDC | Typ: MKT (PET)

Anwendungen: Blockierung und Kopplung, Umleitung und Energiespeicherung.

 

Panasonic ECWFD und ECWFA Series:

Toleranz: 5% | Spannung: 630VDC | Typ: PP

Anwendungen: Aktive Filterkreise, Hochfrequenzschaltungen, Anwendungen mit geringem Rauschen.

Epcos B32520..32529:

Toleranz: 5% | Spannung: 630VDC | Typ: MKT (PET)

Anwendungen: Blockierung, Kopplung, Entkopplung, Umleitung, RFI für die Automobilindustrie.

 

Ich bin mir bewusst, dass es verschiedene Online-Händler wie z.B. Jan Wuesten, ATR-Shop etc. gibt, die sehr gute Preise auch bei kleinen Stückzahlen bieten. Hier habe ich hinsichtlich mancher Hersteller wie z.B. STcapacitors etwas Bedenken, die im Europäischen Markt nicht wirklich vertreten sind und der begrenzten Anzahl von Distributoren, die diese Produkte vertreiben.

Die oben genannten Kondensatoren führen beinahe alle namhaften Händler in DE und AT.

Ich freue mich sehr auf einen regen Meinungsaustausch über die von Ihnen verwendeten Ersatzteile und Ihre Erfahrungen damit.

Grüße, Thorsten

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06.Sep.23 17:30
238 from 2127

Heinrich Stummer (A)
Redakteur
Beiträge: 208
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Heinrich Stummer

Sehr geehrter Herr Hirschböck,

danke für die schöne Zusammenstellung von Ersatzkondensatoren.

Einzig der Roederstein ist eine Axiale Type alle anderen sind Radial Ware. Die Radials kann man leider kaum in Röhrenradios einbauen, da das einfach bei konventioneller Verdrahtung nicht passt. Für Ersatz in Röhrenradios kaufe ich gerne die 400V oder 630V Typen der besagten Firmen in Axialer Ausführung. Es ist auch lohnenswert nach Styroflex Typen zu suchen, besonderns interessant für Klangregelnetzwerke wie von Ihnen angsprochen.  Styroflex gibts meines Wissens keine Neufertigung mehr, nur mehr Restbestände. Klangregelnetzwerke realisiert man heute digital.

Bei Radialen Typen muss das Rastermaß zu den Printbohrungen passen. Radiale Kondensatoren in konventioneller Verdrahtung ersetze ich immer mit axialer Ware.

In einem Röhrenradio mit 250V Anodenspannung können sie die 400 und 630V Typen einsetzen. Diese Kondensatoren sind besser, als die original Ware von damals jemals war.

Die eher hohe Spannungsfestigkeit bei manchen Kondensatoren mit 1000V oder noch mehr z.B. Minerva Miola 593W (Kondensatoren nach Netzschalter - roter 4n7) hat man eher so gewählt, dass dieser sicher nicht bei 220V durchschlägt..

Auch wenn STcapacitors aus China kommt, die Teile sind OK. Habe schon sehr viele davon verbaut. Hier Ware mit wesentlich höheren Nennspannung zu verwenden ist nicht notwendig. Auch die extrem teuren Kondensatoren aus der High-End NF Ecke  für Frequenzweichen sehe ich nicht in einem Röhrenradio.

Sind wir doch froh, dass es Distributoren wie ATR und Wüstens gibt, die unsere kleine Marktnische mit Material bestücken.

Viele GRüße

Heinrich Stummer

 

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06.Sep.23 18:43
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Josef Kleindienst (A)
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Josef Kleindienst

Auf Amazon werden verschiedene  Röderstein axial Kondensatoren zu vernünftigen Preisen angeboten   mfg. josef kleindienst

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07.Sep.23 15:02
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Rüdiger Walz (D)
Ratsmitglied
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Rüdiger Walz

Nach meiner Meinung sind Kondensatoren mit 630 V oder 1000 V bei normalen Röhrenradios überdimensioniert und werden nur selten gebraucht.

Die alten Papierkondensatoren wurden mit so hohen Spannungen geprüft, um sicher zu stellen, dass das Papier-Dielektrikum in Ordnung ist. Papier kann Feuchtigkeit oder Poren enthalten, was zu Überschlägen führt.

Moderne Folienkondensatoren sind da zuverlässiger. Ich persönlich ersetze alte Kondensatoren nur mit Spannungswerten, die aus dem Schaltbild ersichtlich auch notwendig sind. Das hat den Charme, dass sie nicht unnötig groß sind und gut versteckt werden können oder in die alten Hüllen eingebaut werden können.

Grundsätzlich ersetze ich alte Kondensatoren, die keiner / kleinen Spannungen ausgesetzt sind nicht, es sei denn, es zeigt sich eine gravierende Änderung der Kapazitätswerte oder durch Verringerung des Isolationswiderstandes wird die Funktion der Schaltung gestört.

Der Isolationswiderstand der alten Papierkondensatoren ist für Niederspannungsbereiche meistens noch ausreichend, es sei denn es handelt sich um hochohmige Regelnetzwerke. Hier sollte man anhand der Schaltung immer überlegen, welche Funktion der Kondensator hat und welche Spannungs- und Isolationswerte notwendig sind und auch nur die wirklich die Funktion störenden Bauteile ersetzen. Ein altes Radio sollte meiner Meinung nach so original wie möglich erhalten werden.

Selbst 10-20 % höhere Spannungen beim Einschalten des Gerätes bis zur Funktion der Röhren halten Folienkondensatoren nach meiner Erfahrung problemlos aus.

Den Fortschritt der Technik erkennt man auch daran, dass in den 1950/ 1960er Jahren in den Röhrenradios mehr und mehr Niedervoltkondensatoren wo möglich eingesetzt wurden. Offensichtlich wurden sie zuverlässiger, bzw. basieren auf Kunststofffolien.

Rüdiger Walz

 

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07.Sep.23 17:28
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Steffen Thies (A)
Redakteur
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Herr Walz,

genau das wollte ich auch schreiben. Danke! Mit angepaßter Spannungsfestigkeit passen dann meist auch die radialen Typen in die alten Hüllen. Die Lötstellen der Verlängerungsdrähte verschwinden gleich mit.

Hohe Spannungsfestigkeit ist nur bei Entstörkondensatoren oder dem Trennkondensator zur Erde bei Allstromgeräten notwendig. Am besten nimmt man explizit dafür vorgesehene. Entstörkondensatoren gibt es übrigens am ehesten mit axialen Anschlüssen.

Steffen Thies

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08.Sep.23 08:26
498 from 2127

Karl-Heinz Bradtmöller (D)
Beiträge: 508
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Beim Bau eines Röhrenverstärkers achtete ich einmal besonders auf die Spannungen der Koppelkondensatoren. Die Spannungen von Gitter und Anode müssen addiert werden. Also bei
Minus 40V Gitterspannung und 250V Anodenspannung, erhält man bereits 290V. Ferner ist die Wechselspannungsüberlagerung hinzuzurechnen. Einen Kondensator hier spannungsmäßig zu knapp zu dimensionieren, rächt sich spätestens, wenn es einen Durchschlag von der Anodenseite der Treiberröhre auf das Gitter der Endröhre gibt.

Dann erhielten die Anodenspannungs-Gleichrichterdioden neben Ferritperlen zur Unterdrückung der durch Trägerspeichereffekt bedingten Impulse je einen Überbrückungskondensator, der mindesten 1500 V Spannungsfestigkeit haben sollte. (Die Transienten aus dem Lichtnetz sollten auch Berücksichtigung finden.)

Da die heute verfügbaren Baugrößen der Kondensatoren keine Probleme bereiten, solche mit ausreichender Spannungsreserve zu verwenden, teile ich die Meinung nicht, dass Dimensionierung der Kondensatorspannung bei Röhrengeräten unkritisch wäre.
Und Kondensatoren zur netzseitigen Entstörung sollten solche sein, die einer X- beziehungsweise Y-Kategorie entsprechen. Hier reicht eine Spannungsangabe alleine nicht aus.

Beste Grüße
K.-H. B.

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08.Sep.23 14:12
549 from 2127

Tim Küpper (D)
Beiträge: 99
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Vielen Dank an die letzten Beitragenden, die noch einmal alle wesentlichen Punkte sehr schön und kompakt zusammengefasst haben, die bei der Kondensatorwahl zu berücksichtigen sind.

Meines Erachtens wird bei der Restauration/Reparatur von Röhrenradios noch viel zu selten mit X- und Y-Kondensatoren an den entsprechenden sinnvollen und notwendigen Stellen gearbeitet. Jedenfalls ist das mein Eindruck aus zahlreichen Geräten, die mir bisher "unter die Finger" gekommen sind. Daher möchte ich für diese Kondensatoren noch mal eine Lanze brechen.

Über die für Menschen sicherheitsrelevanten Stellen hinaus baue ich Y2-Kondensatoren noch an zwei weiteren Stellen ein um die Schaltung zu schützen. Denn Y-Kondensatoren bilden im Defektfall ja keinen Kurzschluss aus.

- in einigen Geräten ist die Gleichrichterröhre/diode mit einem Kondensator zwischen Anode und Kathode "gebrückt" (z. B. der noch häufig anzutreffende EAK Super 64/50). Hier würde ich einen Y2-Kondensator verbauen, da sonst im Kurzschlussfall eines "normalen" Kondensators die Netz-Wechselspannung direkt am Ladeelko und Siebelko landet.

- und ganz wichtig: In einigen Fällen liegt der Anodenkondensator der Endröhre ja direkt an Masse (z. B. Philips BX156U). Schlägt dieser durch, dann kann das schnell das Ende des Ausgangsübertrager bedeuten. Ein Y2-Kondensator an dieser Stelle würde im Defektfall offen gehen und das Problem vermeiden. Da ein Y2-Kondensator Impulsfest bis 5 kV sein muss, sollten Spannungspitzen dort kein Problem sein.

Y1-Kondensatoren gingen sicherlich auch, Y3- und Y4-Kondensatoren wären mir zu schwach ausgelegt.

 

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10.Sep.23 16:36
726 from 2127

Achim Dassow (CH)
Redakteur
Beiträge: 93
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Mein Dank geht zunächst an die vorherigen Beiträge für die Hervorhebung einiger wichtiger Faktoren,

die vorangegangene Diskussion möchte ich noch um einen Punkt aus eigener Erfahrung ergänzen. Die Lebensdauer bzw. Zuverlässigkeit von Folienkondensatoren hängt zu einem erheblichen Teil von den Materialeigenschaften der verwendeten Kunststoffe ab und zwar sowohl von jenen Materialien, die für die Kondensator - Verkapselung verwendet wurden als auch von jenen der Dielektrikumsfolie selber.
Mir sind im Laufe der Zeit Geräte aus den 80er Jahren in die Hände gekommen, deren Folienkondensatoren komplett zu erneuern waren. Grund: die Kondensator-Gehäuse wiesen feine Risse auf. Damit war klar, dass Feuchtigkeit ins Kondensator-Innere einwandern konnte.
Diese Kondensatoren waren zwar keine X- oder Y- Typen, jedoch wurden auch sie zur Trennung zwischen Anoden- und Gitterspannung verwendet.
Im Zusammenhang damit ein Auszug aus einem Artikel der "Elektronikpraxis" von Okt. 2013 der einen wichtigen Faktor bezüglich der Zuverlässigkeit in den Vordergrund rückt, nicht nur für X- und Y- Kondensatoren, sondern ganz allgemein.

Warum X- und Y-Folienkondensatoren ausfallen und wie es sich verhindern lässt

(Feuchtigkeit – Ausfallursache Nr.1 von X- und Y-Kondensatoren)

Das Fazit dieses Artikels:

"Dies führt zu der Erkenntnis, dass in der Praxis die Präsenz von unerwünschter Feuchtigkeit im Kondensatorinneren den größten Einfluss auf ein vorzeitiges Lebensdauerende oder auf Ausfälle von X- und Y-Folienkondensatoren besitzt." (Ausfall bedeutet hier [Teil-]Verlust der Kapazität bzw. Unterbrechung)

Luftfeuchtigkeit als System-Destabilisator

Unerwünschte Luftfeuchtigkeit im Kondensatorinneren kann zu einer Destabilisierung des gesamten Kondensator-Systems führen. Mögliche Folgen sind:

Verlust von Kapazität durch:

 1) Feuchtigkeitskorrosion (Belagabbau) der Folienmetallisierung.

 2) Vermehrte Korona/Teilentladungen, was ebenfalls zu einem Belagabbau der Folienmetallisierung führt: Feuchtigkeit setzt die Korona-Einsetzspannung herab und verbreitet solche an der Metallisierungskante stattfindenden Teilentladungen auf Gebiete mit niedrigem elektrischen Feld.

 3) Feuchtigkeit führt zu vermehrten Selbstheilvorgängen um den dielektrischen Durchschlag herum (Kapazitätsverluste aufgrund von Selbstheilungsvorgängen sind relativ gering).

Anstieg des Verlustfaktors tan δ durch:

1) Verstärkte klimatische Alterung des Dielektrikums.
Anm.: Hierbei spielt die Wasseraufnahmefähigkeit des Dielektrikum-Kunststoffs eine grosse Rolle.
Bezüglich einer geringstmöglichen Wasseraufnahme erweist sich Polypropylen als besonders günstig.

2) Feuchtigkeitskorrosion der Folienmetallisierung sowie früher und intensiver stattfindende Korona/Teilendladungen.

3) Feuchtigkeitskorrosion in den Schoppierungskontakten (=Verbindung zwischen Anschlussdrähten und Folienmetallisierung).

4) Komplettabriss der Schoppierungskontakte (Feuchtigkeit kann diesen Vorgang beschleunigen).

Anm.: Hier wurde Bezug auf eine anliegende Netzwechselspannung genommen. Eine dauerhaft anliegende Gleichspannung mit oder ohne überlagerte Audio-Signalspannung dürfte sich jedoch ähnlich auswirken.
Der Verlustfaktor entspricht einem parallel zu einem idealen Kondensator liegenden Widerstand, dessen Wert teilweise frequenzabhängig variiert, ist also auch in Bezug auf die Gitterspannung nachfolgender Stufen von Interesse.

Weiter heisst es: Die aktuelle IEC-Norm 60384-14 für Funkentstörkondensatoren besagt

Unter dem Punkt 4.14 „Dauerprüfung“ sieht die Norm 60384-14 einen Test über 1000 Stunden mit erhöhter Spannung (1,25 UR für X-Kondensatoren und 1,7 UR für Y-Kondensatoren) und der oberen Kategorietemperatur des Kondensators vor. Jedoch berücksichtigt dieser Test nicht, dass die Lebensdauererwartung von metallisierten Folienkondensatoren nicht nur von Temperatur und Spannung abhängt, sondern auch von Feuchtigkeit.

Zur Überprüfung der Feuchtigkeitsbeständigkeit der Kondensatoren sieht die IEC-Norm einen als Lagerungstest anzusehenden Test vor:

X- und Y-Funkentstörkondensatoren, IEC 60384-14 4.12 (Damp heat):

40 °C, 90 bis 95% Feuchtigkeit, mindestens 21 Tage, ohne Spannung!

Da dieser Test ohne die in der Applikation permanent an einen X- oder Y-Kondensator anliegende Netzspannung durchgeführt wird, stellt er keinen Betriebstest dar. Dieser Test ist letztendlich nur dazu geeignet, zu überprüfen, ob und wie lange die Kondensatoren in feuchter Umgebung gelagert werden können.
Der Test gemäß IEC-Norm ist leicht zu bestehen

Diesen Test der Feuchtigkeitsbeständigkeit gemäß der aktuellen IEC-Norm können selbst X- und Y-Funkentstörkondensatoren mit sehr dünn metallisierten Folien bestehen. Dies unterstützt den Trend zur Miniaturisierung und Kosteneinsparung. Jedoch geht eine dünne Metallisierungsschicht zu Lasten der klimatischen Robustheit eines Folienkondensators, da einem aufgrund einer Feuchtigkeitskorrosion einsetzenden Metallisierungsabbaus entsprechend weniger Material entgegengesetzt werden kann.

Fazit: Ob die oben genannte IEC-Norm inzwischen an die Erkenntnisse angepasst wurde, ist mir nicht bekannt. Tatsache ist, dass Polypropylen (PP), vor allem wenn es auch im Kondensator-Gehäuse verwendet wird, eine länger anhaltende Barriere gegen Feuchtigkeit sein dürfte als wie dies bei anderen Kunststoffen der Fall ist. Vergussmassen oder andere Versiegelungen spielen dabei ebenfalls eine Rolle.
Polycarbonat wird zum Beispiel kaum noch hergestellt, Polycarbonatfolie, die ich für einige Jahre gelagert hatte, bekam Risse und zebröselte teilweise sogar. Ausserdem hat Polyester eine deutlich höhere Wasseraufnahmefähigkeit als PP und beschleunigt damit evtl. das Feuchtigkeitsproblem.
Dies alles ist zusätzlich vor dem Hintergrund zu betrachten, dass alte Radiogeräte möglicherweise jahrelang in relativ feuchter Umgebung (Kellerraum) oder Umgebung mit wechselder Feuchte und Temperatur (Dachboden) gelagert wurden, was zu erheblicher "Alterung" eines Dielektrikums hat führen können.
Zuletzt ist das Dielektrikum PP jenes, das im Signalweg angewendet, die geringsten Verzerrungen mit sich bringt, was natürlich bei hochwertigen Verstärkern von grösserem Interesse ist.

Axiale PP Kondensatoren findet man durchaus noch, z.B. bei Distrelec. Wen die radiale Bauform nicht stört: die Panasonic Folienkondensatoren haben sich bei meinem Arbeitgeber unter härtesten Bedingungen sehr lange gehalten, kann ich nur empfehlen.

Gruss
Achim

 

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11.Sep.23 08:24
795 from 2127

Karl-Heinz Bradtmöller (D)
Beiträge: 508
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In Ergänzung:

Für Kondensatoren ist eine IEC 60068-2-3 für Einteilung in Klimakategorien vorgesehen.
Der Einfachheit halber: Bestimmt hat jeder hier schon einmal hier die Zahlenkombinationen als Aufdruck auf Kondensatoren gesehen und sich gefragt, was diese zu bedeuten haben:
Für elektronische Geräte

15/55/04
Klimafestigkeit: 15 / 55 / 04 IEC/EN 60068-1
-15°C +55°C 4 Tage bei 93% rel. Feuchte 40°C

Eine andere Einteilung für Motorkondensatoren sei nur gestreift hier:

1. Buchstabe: untere Grenztemperatur in Betrieb
E -65°C, F -55°C, G -40°C, H -25° C, J -10°C, K 0° C

2. Buchstabe: obere Grenztemperatur
E +200°C, F +180°C, G +170°C, H +155°C, J +140°C, K +125°C, L +110°C
M +100°C, N +90°C, P +85° C, Q +80 °C, R +75° C, S +70° C, T +65° C

3. Buchstabe: Grenzen der relativen Luftfeuchte (wegen Übersichtlichkeit
stark gekürzt)
Höchstwerte im Jahresmittel
A ≤ 100 %, C ≤ 95 %, R ≤ 90 %, D ≤ 80 %
E ≤ 75 %, F ≤ 75 %, G ≤ 65 %, H ≤ 50 %

Gruß
K.-H. B.

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Auswahl für den Ersatz von Folienkondensatoren 
11.Sep.23 17:32
864 from 2127

Tim Küpper (D)
Beiträge: 99
Anzahl Danke: 2

Besten Dank für die wichtigen Hinweise zum Material. Als Hobbybastler mag man zunächst denken: Hauptsache Kunststoff, der Rest ist egal.

Weitere Bezugsquellen für PP-Kondensatoren: Die oben schon erwähnten axialen Folien-Kondensatoren im ATR-Shop sind laut Webseite ja auch aus PP. Bei den X2- und Y2-Kondensatoren verwende ich immer die ebenfalls gut und günstig erhältlichen radialen MKP-Y2 bzw. MKP-X2 von WIMA (ebenfalls PP). Letztere gibt es auch in den verschiedensten Werten, so dass die Originalwerte der Schaltungen gut eingehalten werden können.

Immer vorausgesetzt, dass einen die Optik nicht stört.

Da wir als Sammler ja im Normalfall die Geräte meist liebevoll lagern und nicht in den feuchten Keller abschieben, sollten dann nach der Restauration die (neuen) Kondensatoren auf jedenfall lange überleben.

Die Erkenntnisse sollten dann Anlass geben, auf jeden Fall auch noch mal die Lagerbedingungen der Radiosammlung zu überprüfen.

 

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Auswahl für den Ersatz von Folienkondensatoren 
12.Sep.23 07:32
921 from 2127

Karl-Heinz Bradtmöller (D)
Beiträge: 508
Anzahl Danke: 4

Eine Eigenschaft von Folienkondensatoren wurde noch nicht beleuchtet: ihre Eigenresonanz.
Hier 100 kHz Eigenresonanz
Das konnte ich sehr gut beim Nachbau eines AM-Radios feststellen. Die Pfeifstellen beim ZF-Verstärker verschwanden nach Austausch von Abblockkondensatoren aus Folie gegen solche aus Keramik.
Das beseutet für die Restauration der Geräte, dass nach Möglichkeit ein notwendig werdender Austausch nur gegen solche Kondensatoren derselben Kategorie erfolgen sollte.

Gruß
K.-H. B.

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24.Sep.23 16:59
1194 from 2127

Thorsten Hirschböck (A)
Beiträge: 6
Anzahl Danke: 1

Vielen Dank für die umfangreichen und äußerst informativen Antworten! Somit wurden nicht nur meine Fragen beantwortet, sondern auch mein Verständnis erweitert.

Eine abschließende Frage bleibt noch offen: In welchem Umfang sollten moderne X- und Y-Kondensatoren verwendet werden?

Ich finde die Verwendung eines Y2-Kondensators als Anodenkondensator für die Endröhre, wie im Beispiel von Tim Küpper, nachvollziehbar. Ebenso sehe ich den Einsatz eines X2-Kondensators als Entstörfilter zwischen Phase und Nullleiter auf der Primärseite des Netztransformators als sinnvollen Einsatz.

Allerdings frage ich mich, ob es nicht ratsam wäre, alle Kondensatoren, die mit dem Chassis des Radios verbunden sind, als Y-Kondensatoren auszulegen. Dies würde im Fehlerfall sicherstellen, dass keine Kurzschlüsse auftreten und somit keine Spannung auf das Chassis geleitet wird, vorausgesetzt es handelt sich um erhöhte Spannungen, beispielsweise über 50V.

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28.Sep.23 01:05
1350 from 2127

Tim Küpper (D)
Beiträge: 99
Anzahl Danke: 1

Also ich mache es nicht, da ich auch viele Allstromgeräte in der Sammlung habe, wo das Chassis sowieso je nach Polung des Netzsteckers unter Spannung steht.

Das Chassis ist im Normalfall ja berührsicher im Radio verbaut (auch an die Madenschrauben der Knöpfe denken - Wachsfüllung erneuern).

Wichtig finde ich immer, die Verbindungen zur Außenwelt (Plattenspieleranschluss, Erdungsbuchse, Antenne, etc.) mit Y2-Kondensatoren zu versehen, wenn bei Durchschlagen des Kondensators der Buchse dann ein Chassiskontakt zur Buchse möglich ist.

Die Papierkondensatoren, die nicht im Netzteil oder an der Anode der Endröhre liegen, sind meist bedeutend niedrigeren Spannungen ausgesetzt und entsprechend weniger belastet. Werden z. B. Abblockkondensatoren an den Gittern durch Polypropylen-Folienkondensatoren mit großem Spannungspuffer (630-1000 V) ersetzt, dann sollten sie nahezu ewig halten.

Ich habe auch Geräte im Alltagsbetrieb, die noch viele alte Original-Papierkondensatoren haben mit nicht mehr optimalen Isolationswerten (also Geräte, in denen nur der Koppelkondensator zur Endröhre, der Anodenkondensator der Endröhre (wenn er an Masse liegt), und sicherheitsrelevante Kondensatoren ersetzt sind). Da ist mir bisher noch nichts in großem Stil "abgeraucht" wenn ein Papierkondensator doch mal ausgefallen ist. Ich verbaue in bei meinen Kleingeräten immer Schmelzsicherungen mit 250 mA bis 315 mA (flink). Manche Geräte haben ab Werk keine Sicherung und bekommen von mir dann eine.

Und wenn doch mal etwas abraucht: Widerstände können ja leicht ersetzt werden.

Noch als Anmerkung: Natürlich reden wir hier ja nur über Papierkondensatoren. Alle anderen Kondensatoren, die ja auch oft an frequenzbestimmenden Teilen der Schaltung sind, immer am besten in Ruhe lassen.

 

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