stern-roch: AM-Oszillator Schwingungen reißen bei 600kHz ab

ID: 647572
stern-roch: AM-Oszillator Schwingungen reißen bei 600kHz ab 
29.Jan.24 20:40
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Andreas Reuther (D)
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Andreas Reuther

Ich möchte von einer Reparatur meines Beethoven berichten, die mich mehrere Tage beschäftigt hat. Das Radio hatte viele Jahre trocken gestanden und sollte wiederbelebt werden. Nach der obligatorischen Kondensatorkur und erstmaligem Einschalten Hochfahren des Radios zeigte die Stromaufnahme normale Werte, aber kein Empfang. Nachdem ich alle Kontakte des Wellenschalters gesäubert hatte (das ist beim Beethoven ziemlich einfach) war nur sehr leiser UKW-Empfang möglich. Ursache war der Umschalter U9/U11 am Gitter der ECH81, den ich nicht mit gesäubert hatte. Nun konnte ich mich dem AM-Teil zuwenden. Auf allen AM-Bereichen war auf ein maximales Rauschen zu hören, das abstimmungsunabhängig war. Nach längerer Suche habe ich die Ursache gefunden: Nach Wechsel des keramischen Rohrkondensators (50pF) am Gitterder Mischröhre der ECH81 war das Rauschen weg. Eine Kapazitätsmessung des Kondensators zeigte allerdings keine Abnormalität.
Geschafft!!??Denkste!

Beim Abstimmen brach der Empfang ungefähr in der Mitte der Skala ab, und das auf allen Wellen. Das Oszillografieren am Oszillatordrehko zeigte, dass die Oszillatorschwingungen abbrachen. Die Vermutung, dass der Drehko einen Kurzschluss hatte, war richtig. Oftmals sind die äußeren Platten verbogen und verursachen einen Kurzschluss. So war es hier aber nicht. Deshalb habe ich den Draht am Drehko abgelötet und an diesen eine Gleichspannung von 100 V angelegt: Über einen Vorwiderstand habe ich einen 47µF aufgeladen und diesen mit dem Drehko verbunden. Beim Abstimmen habe ich dann die Kurzschlussstelle sehen können, an der die Entladefunken entstanden und die sich in der Mitte des Drehkopaketes befand. Durch vorsichtiges Drücken an der entsprechenden Platte konnte ich den Kurzschluss eliminieren. Nun dachte ich, dass die Reparatur beendet werden konnte, aber Denkste!! Beim Abstimmen auf Mittelwelle war bei angeschlossener Antenne einwandfreier Empfang angesagt, aber: bei ca. 600kHz war Ruhe! Das Gleiche und an derselben Stelle auch bei LW. Wieder Oszillograf am Dreho angeschlossen: Volle Amplitude bis in die Nähe von 600kHz, dann gingen die Oszillatorschwingungen bis auf Null zurück. Gleicher Effekt an gleicher Stelle bei LW. Da der Kurzwellenempfang nicht besonders gut war, habe ich dies nicht weiter beachtet.
Die Spannungen an der ECH81 stimmten einigermaßen, nur die Anodenspannung der Triode lag bei 70V anstelle der angegebenen 100V. Röhrenwechsel brachte nichts. 5 verschiedene geprüfte Röhren zeigten das gleiche Bild, nur dass die Schwingungen mal bei 700kHz oder bei 650kHz abrissen.  Ein interimsweise separat angeschlossener Ozillatordrehko brachte kein anderes Ergebnis.
Also habe ich alle Widerstände gemessen und Keramikkondensatoren getauscht. Kein Erfolg. Die Vermutung, dass der Röhrensockel etwas damit zu tun hatte, erwies sich ebenso als nicht richtig, nachdem ich die Mischstufe separat aufgebaut und angeschlossen hatte. Nachdem ich alles zurückgebaut hatte, habe ich nochmals am Oszillatordrehko oszillografiert und festgestellt, dass sich beim Abstimmen die Frequenzen auf MW und LW  wie gewohnt ändern, aber auf den Kurzwellen nur minimal. Heureka! Zum Test habe ich dann den 100pF - Rohrkondensator C51(?) gegen einen neuen 100pF-Kondensator getauscht. Ergebnis: Volle Oszillatoramplitude über den gesamten Bereich! Eine Messung der Kapazität (statt 100pF hatte C51 70pF, Widerstand >20MOhm) brachte auch hier keine Erklärung. Nach Wechsel des Kondensators funktioniert das Radio wieder einwandfrei.

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stern-roch: AM-Oszillator Schwingungen reißen bei 600kHz ab 
31.Jan.24 10:59
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Andreas Steinmetz (D)
Redakteur
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Vielleicht hilft Folgendes zur Erklärung:

  1. Alte Keramikkondensatoren haben mitunter Probleme mit der Kontaktierung der Silberschichten. Wenn man an den Anschlussdrähten wackelt oder sie z.B. beim Auslöten erhitzt, kann ein Kontaktproblem vorübergehend verschwinden, so dass sich dann ein einwandfreier Kapazitätswert messen lässt. Das könnte z.B. bei Ihrem 50pF-Kondensator passiert sein.
  2. Im Laufe der Zeit sulfidieren die Silberschichten, besonders wenn die Oberflächenlackierung beschädigt ist. Das führt zu einem messbaren Kapazitätsverlust, wie in Ihrem Fall, wo der 100pF-Kondensator nur noch 70pF hatte. Ob aber allein damit das Aussetzen der Oszillatorschwingungen begründbar ist, ist fraglich. Deshalb denke ich noch an Folgendes: Die sulfidieren Schichtreste erhöhen zumindest in einer bestimmten Übergangsphase den ohmschen Widerstand der Silberschicht. Im Ersatzschaltbild sieht das dann so aus, dass parallel zur reduzierten Kapazität noch eine Reihenschaltung aus einer kleinen Kapazität und eines ohmschen Widerstands liegt. Dieser ohmsche Widerstand verursacht Verluste, die tatsächlich zum Aussetzen der Oszillatorschwingung führen können.

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stern-roch: AM-Oszillator Schwingungen reißen bei 600kHz ab 
31.Jan.24 19:03
256 from 725

Andreas Steinmetz (D)
Redakteur
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Herr Reuther,

Sie schreiben, dass es beim Beethoven relativ einfach sei, die Kontakte des Wellenschalters zu reinigen. Könnten Sie hier vielleicht kurz beschreiben, was man da machen muss, ob und wie man ggf. dazu etwas zerlegen muss, usw.? Bei meinem (derzeit nicht in direktem Zugriff befindlichen) Beethoven kommt das irgendwann auch mal auf mich zu, und da wäre es gut, schon jetzt zu wissen, was zu tun ist.

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stern-roch: AM-Oszillator Schwingungen reißen bei 600kHz ab 
01.Feb.24 09:24
305 from 725

Andreas Reuther (D)
Beiträge: 49
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Andreas Reuther

Vielen Dank für Ihre Erklärungen.

Ich habe zu der Reparatur wie üblich ein Video gemacht, das ich demnächst auf meinem Youtube-Kanal  www youtube.com/@radiospecialist/featured veröffentlichen werde.

1.  Das maximale Rauschen habe ich vor dem Demodulator gemessen. Durch Ziehen der ZF-Röhren konnte ich den Fehler in der Mischstufe lokalisieren. Bei Kurzschließen des Gitters der Mischstufe gegen Masse verschwand das Rauschen. Das Rauschen war nicht mechanisch durch Drücken oder Ziehen mit einem Plastikstab beeinflussbar. Nach Austausch des 50pF-Kond. war das Rauschen weg. Die Messung des Kondensators ergab keinen Aufschluss, da das Rauschen wieder einsetzte, nachdem ich den Kondensator erneut eingebaut hatte. Deshalb habe ich bisher keine plausible Erklärung für den Rauscheffekt.

2.: Der Effekt ist mir bekannt, der besonders bei Trimmern auftritt und die dann meistens nur noch einige pF haben. Der 100pF Rohrkondensator hatte aber keinerlei sichtbare Beschädigungen an der grünen Lackierung. Bevor ich einen neuen Kondensator eingebaut habe, habe ich mit kleineren Kondensatoren getestet, ob der Oszillator noch sicher schwingt. Dies war auch noch mit 50pF der Fall, sodass ich tatsächlich davon ausgehe, dass der Kondensator im eingebauten Zustand vermutlich keine Kapazität mehr hatte.

 

Zu Ihrer Frage bezüglich des Wellenschalters hatte ich früher schon mal ein kleines Video gemacht, das ich demnächst ebenfalls auf meinem Kanal veröffentlichen werde. Bilder oder Videos sagen mehr als Worte.

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