Das 12,000 Röhren Elektronengehirn IBM 1948

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Das 12,000 Röhren Elektronengehirn IBM 1948 
24.Nov.22 15:12
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Harald Giese (D)
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Harald Giese

 

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Zu einer Zeit als Magnetkernspeicher (magnetic core memory) noch in der Entwicklung steckten und Magnetbänder zur Datenspeicherung und NIXIE Ziffernanzeigeröhren noch nicht zur Verfügung standen, erschien im Mai 1948 in der  populärwissenschaftlichen Zeitschrift "Radio Craft" des Herausgebers Hugo Gernsback ein interessanter Artikel, der vielen Computerfans bekannt sein dürfte:

A. Pascale: "12,000-TUBE ELECTRON BRAIN"

Der Autor beschreibt den Aufbau und die Arbeitsweise der neuesten Großrechenanlage des Herstellers International Business Machines (IBM). - zwar nicht in allen Punkten wissenschaftlich exakt aber aus heutiger Sicht doch ein faszinierendes Zeitdokument.

 

 


Da einerseits die Scans schlecht zu lesen sind und andererseits der stellenweise etwas salopp gehaltene Text einige Forumsleser vor Probleme stellen könnte, habe ich den Artikel übersetzt, die Bilder an den passenden Stellen eingefügt und einige Passagen durch zusätzliche Überschriften getrennt und durch Kommentare erweitert. .


 

Das 12 000 Röhren Elektronen - Gehirn

Ein geübter Mathematiker benötigt mit einem Tischrechner 4 Jahre um eine Aufgabe zu lösen, die der IBM - Rechner in 8 Stunden erledigt

 

 

Trauen Sie sich zu, die Position des Mondes auf der Basis der nebenstehenden Gleichungen innnerhalb von 7 Minuten zu berechnen?  Es dauerte nämlich nur 7 Minuten mit der Unterstützung von 12,000 Elektronenröhren, 21,400 Relais und 40,000 steckbaren Verbindungen, die einem Wissenschaftler zur Verfügung standen, als er das Problem auf dem "IBM Selective Sequence Electronic Calculator" löste. Ohne diese Maschine wäre er 3 Wochen beschäftigt gewesen.

Die ganze Maschine verfügt über Kartenleser, Sequenzer - Röhren, Sequenzer - Relais, einen Zugriff auf tabellierte Werte, Relais - Speicher, Anzeigeinstrumente, Steuer - Relais, eine Stromversorgung, Bandspeicher, eine Arithmetik - Einheit, Sequenzer - Interlocks (für die Ablaufsteuerung), elektronische Speicher, Drucker, Kartenlochern und Kartenleser, das alles zusätzlich zu dem auf unserer Frontseite gezeigten Steuerpult und dem Pulsgenerator.

 

Alles ist in einem 12,4 m breiten, 26,4 m langen und 4,3 m hohen Rechnerraum untergebracht, also in einem Raum mit einer Grundfläche, die um etwa 1/4 größer ist als ein Tennisplatz. Die Wände dieses Raums sind vollständig mit elektronenröhren- und relais - bestückten Schaltungseinheiten bedeckt. Diese Wandeinheiten, einschließlich einiger Fußboden - Komponenten wie Drucker und Steuerkonsolen repräsentieren den eigentlichen Rechner.

Das Rechenwerk dieser Maschine addiert, subtrahiert, multipliziert und dividiert die ihm eingegeben Zahlen. Sie erledigt 3,500 Additionen oder Subtraktionen von 19 - stelligen Zahlen in einer Sekunde. Ebenso bewältig sie 50 Multiplikationen 14 - stelliger Zahlen in einer Sekunde, im gleichen Zeitraum 30 Divisionen von 14 - stelligen Zahlen. Sie verfügt über eine Speicherkapazität von 400,000 Ziffern (Digits) in Röhren, Relais und Lochstreifen.

Verwendet man Lochkarten als Speichermedium, ist das Speichervermögen praktisch ungegrenzt.

 

Der praktische Betrieb

Rechenbefehle füttert der Wissenschaftler über Lochkarten oder kontinuierliche Lochstreifen in die Maschine. Die Lochstreifen können entweder von der Maschine selbst oder von einem zusätzlichen, über einen  Lochkartenleser gesteuerten Lochstreifenstanzer erstellt werden.

 

Werden die Anweisungen über Lochkarten eingegeben, so werden die Eingabedaten elektronisch vom ursprünglichen, auf Potenzen der Zahl 10 basierende dezimalen Zahlensystem in das auf Potenzen der Zahl 2 basierende Binärsystem überführt, in welchem Zahlen durch eine Folge von "0" und "1" dargestellt werden, also in einer Weise wie sie in allen heutigen Großrechenanlagen angewandt wird.

(Anm. H.Giese: Eine Dezimalzahl wird hierfür zunächst in eine Summe von Zweierpotenzen zerlegt und in der binären Darstellung von links nach rechts durch eine "0" - "1" - Sequenz angegeben, die anzeigt, ob die Zweierpotenz in der Summenzerlegung der Dezimalzahl auftritt ("1") oder nicht ("0"). Hier die Zweierpotenzen von der Potenz 0 bis zur Potenz 10:

20=1    21=2    22=4    23=8    24=16    25=32    26=64    27=128    28=256    29=512    210=1024

Die Dezimalzahl 15 entspricht dann z.B. der Binärzahl 11110000000, d.h. die Summe der Zweierpotenzen 20, 21, 22 und 23, also der ersten 4 Stellen der Binärzahl, bildet die Dezimalzahl 15.

Der Dezimalzahl 1234 entspricht der Summe der Zweierpotenzen 21, 24, 26, 27und 210, in binärer Darstellung also: 01001011001.)

Sobald die Zahlen ins Binärsytem konvertiert sind, beobachtet man ein rasantes glühwürmchen - artiges Flackern von unzähligen Neon - Anzeigelämpchen, während in der Maschine komplizierte Rechenvorgänge ablaufen. Der unwissende Zuschauer ist geradezu überwältigt von diesem Spektakel.

 

Die Maschine folgt den auf den Lochkarten oder Lochstreifen kodierten Befehlen und speichert jedes Zwischenresultat für die spätere Verwendung im weiteren Rechenprozess.  Die Zwischenspeicherung kann auf drei verschieden Weisen erfolgen: Elektronenröhren (Flip-Flop-Stufen mit 12SN7 Doppeltrioden), gepolte Relais und Bänder.

(Anm. H. Giese: Hier sind Lochstreifen gemeint! Magnetbandspeicherung wurde erst Anfang der 1950er Jahre eingeführt!).

Relais und Bandspeichereinheiten werden immer dann eingesetzt, wenn große Datenmengen anfallen. Elektronische Speicher werden hingegen in Verbindung mit dem Rechenwerk eingesetzt, wo hohe Geschwindigkeit gefordert wird.

Aber obwohl das elektronische System mit Röhren schneller arbeitet, kann es zum heutigen Zeitpunkt (1948) die Verwendung von Band- und Relaissystemen noch nicht ersetzen. Würde man versuchen den gesamten heutigen Speicher von 400,000 Ziffern (Digits) durch elektronische Kreisen umzusetzen, wäre es nicht möglich, die ganze Maschine in einem Gebäude unterzubringen.

 

Die Maschine kann aber nicht nur addieren, subtrahieren, dividieren und multiplizieren, sie kann auch in Logarithmen- trigonometrischen und anderen Tafeln nachschlagen. Wenn im Verlauf einer Rechnung auf einen tabellierten Wert zugegriffen werden soll, startet die Maschine eine Suchroutine und setzt den Lochstreifenleser in Gang. Ist der Referenzwert erreicht, wird das Band durch einen elektronischen Impuls gestoppt und der gefundene Wert für die Verwendung im folgenden Rechenprozess gespeichert. Die Daten aller Berechnungen sowie alle erhaltenen Resultate fließen zu und von der Recheneinheit über hunderte von Kanälen durch die Maschine sowie durch die Lese- und Druckereinheiten und das riesige Reservoir gespeicherter Daten. Es exitieren acht getrennte Kanäle, jeder im Stande simultan 19 Dezimalstellen und ein algebraisches Vorzeichen ins Rechenwerk und von dort zu transportieren. Der Datenverkehr entlang dieser Kanäle wird von IBM elektromagnetischen Relais organisiert. Jedes dieser Relais, kaum größer als eine konventionelle Elektronenröhre, ist im Stande, 12 Schaltkreisänderungen in einigen tausendstel Sekunden durchzuführen.In besonderen Fällen kann es sogar notwendig werden, die gesamte Ablaufsteuerung der Machine zu ändern. Dies kann innerhalb weniger Minuten über die automatischen Steuerkonsolen erfolgen. Um die 40,000 steckbare Verbindungen auf den Steuerkonsolen können in bemerkenswert kurzer Zeit geändert werden.

Ausgabe

Rechenresultate können entweder auf Lochkarten oder in gedruckter Form oder in beiden Varianten ausgegeben werden.

(Anm. H. Giese: Auf der großen Steuerkonsole auf der Frontseite der Zeitshrift sieht man viele Kontrolllämpchen, und man könnte auf den Gedanken kommen, dass hier Rechenresultate angezeigt werden. Dies ist nicht der Fall! Die Lämpchen dienten lediglich der Funktionsüberwachung der verschiedenen Rechnerschnittstellen. Siehe unten! Zwar hätte man sich auch vorstellen können, die Resultate der Rechenprozesse durch eine Lämpchenmatrix anzuzeigen, in der jede Lämpchenposition einer Stelle einer Binärzahl zugeordnet ist. Um das Ergebnis zu verstehen, hätte man die angezeigte Binärzahl allerdings wieder ins Dezimalsystem konvertieren müssen. Auf diese Ausgabeoption hatte man offensichtlich verzichtet.)

Da die Maschine hauptsächlich für wissenschaftliche Zwecke verwendet wird, und die Rechenvorgänge in hohem Tempo erfolgen, ist es unabdingbar, dass die Wissenschaftler zu jedem Zeitpunkt über die Zwischenresulate informiert sind, und jederzeit modifizierte Befehle eingegeben können. Es wurde daher Vorsorge getroffen, dass die momentanen Resultate kontinuierlich während des gesamten Rechenvorgangs ausgedruckt werden können.

Die Konsole, oder Aktivitätsindkator und das Steuerpult (siehe Bild auf dem Umschlag) wird verwendet, um den Betrieb der Maschine zu überwachen. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was für einen gewaltigen Arbeitsaufwand es bedeuten würde, eine durchgebrannte Heizung in diesem Labyrinth von Elektronenröhren zu lokalisieren? Hier kommt das Steuerpult ins Spiel. Wenn eine Heizung durchbrennt oder eine der mechanischen Komponenten versagt, helfen Signallampen (Neon - Glimmlampen) dem Bediener das Problem zu lokalisieren und zu diagnostizieren. Daraufhin wird die fehlerhafte Einheit überprüft, der Fehler beseitigt und die Maschine kann mit ihrer Arbeit fortfahren. Natürlich wird das Problem nur dann festgestellt, wenn die Anlage über ein solches Kontrollpult verfügt.

Elektrischer Leistungsverbrauch

Die Anlage hat eine elektrische Anschlussleistung von 180 KW. Der gesamte dem Netz entnommene Wechselstrom wird von einer Batterie von Gleichrichterröhren gleichgerichtet, die sich in Schaltschränken in einem Raum unterhalb der Rechenlage befinden.

Der Abfuhr der Verlustwärme dient eine leistungsstarke Klimaanlage, groß genug um ein Gebäude mit einem Nutzvolumen von 250 000 Kubikfuß (ca. 7000 m3; bei 5 m Raumhöhe sind das 1400 qm Bodenfläche) zu klimatisieren. Damit können 200 KW Wärmeleistung abgeführt werden.

Brandschutz

Die Rechenanlage ist in 3 Brandschutzzonen aufgeteilt, von denen jede mit einem individuellen Temperatur- Überwachungssystem ausgestattet ist. Die Brandbekämpfung kann alternativ manuell oder automatisch erfolgen. Eine volle Entladung der Feuerlöschanlage würde den Inhalt von 32 CO2 - Tanks in die Rechnereinheiten leeren. Im Moment der Löschgasfreisetzung werden die Klimaanlage und die Gleichrichter - Einheit automatisch abgeschaltet.


Insgesamt lagen die Baukosten dieser Großrechenanlage bei 750,000 $.


 

Der Nutzen

Viele Industriezweige werden aus dieser Rechenanlage großen Nutzen ziehen. In manchen kommerziellen Statistik - Diensten müssen Rechnungen durchgeführt werden, die komplizierte sequentielle Operationen beinhalten (Anm. H.Giese: Damit ist gemeint, dass Berechnungen nicht parallel ausgeführt werden können, sondern nur nacheinander, da die Folgerechnung auf dem Ergebnis der vorherigen aufbaut). Solche Rechenvorgänge die aufgrund ihres hohen Zeitaufwands im Moment noch als kaum bewältigbar angesehen werden, können durch den Computer signifikant beschleunigt werden.

Der Wissenschaftler ist derjenige, der am meisten von einer solchen Rechenanlage profitieren wird. Problemstellungen deren Bearbeitung ihn früher Jahre über Jahre kostete,  können nun innerhalb weniger Stunden bearbeitet werden und ihm so eine Menge Forschungsarbeit ersparen.

Am vorteilhaftesten könnte sich die Einführung der neuen Computer auf den Fortschritt im Bereich der Nuklearforschung auswirken. Indem er die komplexen und mühseligen Berechnungen durchführt, die für  das Studium der Atomphysik notwendig sind, wird er sich als dominanter Faktor erweisen - sowohl in Hinblick auf den militärischen Vorsprung der USA gegenüber seinen Konkurrenten im nuklearen Sektor als auch im zivilen Bereich, um uns dem Tag der friedlichen Nutzung der Kernenergie schnell näher zu bringen. 

Trotzdem kann und wird der Computer den menschlichen Wissenschaftler nicht ersetzen können, da er nur dessen Instruktionen ausführen kann. Gibt man die falschen Befehle ein, so wird er diesen folgen. Der Wissenschaftler steht über dem großen Elektronengehirn, das ihm als sein geistiges Kind behilflich ist, die unendlichen Tiefen der Wissenschaft zu erforschen. 

Wie Thomas J. Watson, Präsident der IBM sagte: "Diese Maschine wird dem Wissenschaftler in Lehreinrichtungen, in Regierungsinstitutionen und in der Industrie zur Seite stehen, um die Folgen  menschlichen Denkens bis in die äußeren Bereiche von Zeit, Raum und physikalischen Bedingungen zu erforschen."


A. Pascale



Übersetzt von Harald Giese

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