Die Detektionsschwelle bei Gittergleichrichtung

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Die Detektionsschwelle bei Gittergleichrichtung 
06.Feb.17 21:58
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Jochen Bauer (D)
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Jochen Bauer

Die Gittergleichrichtung (engl. grid leak detection), also die Detektion von amplitudenmodulierten
HF-Signalen mit Hilfe der Gleichrichterwirkung der Gitter-Kathode Strecke einer Röhre wird hauptsächlich in einfachen Geradeausempfängern verwendet. Ein typisches Beispiel ist das Rückkopplungsaudion mit Gittergleichrichtung wie es in Europa bis 1945 und sogar darüber hinaus als Empfänger am unteren Ende der Preisskala anzutreffen war. Das allgemein bekannte Grundprinzip der Gittergleichrichtung ist zur Veranschaulichung in folgendem Diagramm nochmals dargestellt.

In den meisten praktisch orientierten Lehrbüchern findet man zumeist folgende, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, übermäßig vereinfachte Erklärung der Funktionsweise: Das Gitter wird über den Gitterableitwiderstand R auf Masse gelegt. Die negative Halbwelle der HF-Spannung am Schwingkreis verursacht keinen Stromfluß durch die Gitter-Kathodenstrecke (Gitter negativ gegenüber Kathode), während die positive Halbwelle der HF-Spannung am Schwingkreis zu einem Gitterstrom führt der den Gitterkondensator C negativ auflädt. Dies passiert bei jeder positiven Halbwelle so lange bis der Gitterkondensator auf den Spitzenwert der positiven HF Halbwelle aufgeladen ist und nun dieser entgehen steht. Die Spannung am Gitter der Röhre Ud (da wir später auch Dioden untersuchen werden, wollen wir die generische Bezeichnung der "Detektorspannung" Ud für die Spannung an der
Gitter-Kathode Diodenstrecke verwenden) ist nun die Summe der HF-Spannung des Schwingkreises und der dagegen gerichteten Spannung am Gitterkondensator wie in der folgenden Abbildung gezeigt.

Durch den bei positivem Gitter einsetzenden Gitterstrom wird also die Spannung am Gitter auf 0V
"geklemmt" und die mittlere Spannung am Gitter entspricht der Amplitude des HF Signals. Dadurch
liefert die mittlere Spannung am Gitter das dem HF Träger aufmodulierte Tonsignal zurück, vorausgesetzt die Zeitkonstante τ=RC von Gitterableitwiderstand und Gitterkondensator ist so gewählt, dass die Spannung am Gitterkondensator der höchsten vorkommenden Tonfrequenz noch folgen kann. (Für eine ausführliche Diskussion dieser Problematik sei auf den Artikel "AM Demodulation" verwiesen.)

Diese stark vereinfachte Darstellung der Vorgänge bei der Gitter- und auch Diodengleichrichtung liefert natürlich ein ideales "Detektionsdiagramm" wie in der folgenden Abbildung dargestellt:

In einem solchen Detektionsdiagramm ist auf der horizontalen Achse ("x-Achse") die Amplitude
(einfacher Spitzenwert Vs) des HF Signals aufgetragen. Auf der vertikalen Achse ("y-Achse") wird die daraus resultierende mittlere Spannung am Detektor (Gitter, bzw. Anode bei einer Vakuumdiode) aufgetragen. Aus einem Detektionsdiagramm lässt sich bei gegebener Trägeramplitude und Modulationstiefe die Größe der Tonsignalspannung ermitteln. Dazu wird aus Trägeramplitude und Modulationsgrad die maximale und minimale HF Amplitude ermittelt. Daraus kann sofort die minimale und maximale mittlere Spannung am Detektor abgelesen und daraus die Tonsignalamplitude ermittelt werden. In der obigen Abbildung ist dies für ein HF Signal mit einer Trägeramplitude von 1Vs und einem Modulationsgrad von 50% dargestellt. Es ergibt sich eine Tonsignalamplitude von 0.5Vs.

Bestimmt man nun allerdings experimentell die tatsächlichen Detektionsdiagramme von einigen Röhren bzw. Empfängern, so weichen diese vor allem bei niedrigen HF Amplituden deutlich von der idealen Detektionskurve ab. Im folgenden Detektionsdiagramm sind neben der Kurve für den idealen Detektor die Kurven für eine EB91 Vakuumdiode mit C=100pF, R=1MΩ und den Triodenteil einer VCL11 im DKE38 (Betriebsspannung 220V) geplottet.

Es fallen bei der Betrachtung der realen Detektionskurven zwei Dinge auf:

  • Die Spannung am Detektor ist auch ohne HF Signal bereits deutlich negativ.
  • Die Kurve flacht bei HF Amplituden von unter ca. 0.2Vs deutlich ab.

Letzteres bedeutet natürlich, dass bei entsprechend geringen HF Signalstärken keine merkliche
Detektion des aufmodulierten Tonsignals mehr statt findet. Man kann in diesem Fall also von einer "weichen" Detektionsschwelle sprechen. "Weich" deswegen, weil es keine scharfe HF Amplitude gibt, ab der überhaupt keine Detektion mehr statt findet, sondern die Amplitude des detektierten Tonsignals zunehmend überproportional zu der im HF Signal prinzipiell enthaltenen Amplitude des Tonsignals absinkt.

Diese Detektionsschwelle ist natürlich insbesondere bei Einkreis-Empfängern ein Problem. Auch mit einer eventuell vorhandenen Rückkopplung kann wegen der damit verbundenen Verminderung der Bandbreite des Eingangskreises die HF Amplitude auch nur bis zu einem gewissen Grad gesteigert werden. Bei Superheterodyn-Empfängern mit entsprechend dimensioniertem ZF Verstärker steht am Detektor praktisch immer eine ausreichend hohe HF bzw. ZF Amplitude zur Verfügung.

Wie aber kommt nun dieses Verhalten, dass von der am Anfang dieses Artikel wiedergegebenen, stark vereinfachten Erklärung zur Funktionsweise der Gitterdetektion (und auch der Detektion mit Vakuumdioden) nicht erfasst wird zustande?

Der Grund liegt in dem Verhalten von realen Vakuumdioden bzw. der Gitter-Kathodenstrecke von Röhren mit Steuergitter bei negativen Spannungen, also Spannungen bei denen die Anode der
Vakuumdiode bzw. das Gitter einer Röhre mit Steuergitter negativ gegenüber der Kathode ist. Der Anoden- bzw. Gitterstrom ist in diesem Fall nicht Null, sondern folgt einer Exponentialfunktion der Form [1]

I_d(U_d)=I_{d0}\cdot e^{U_d/U_{\scriptscriptstyle T}} \hspace{33pt} (1)

Dabei ist Id0 der Strom ohne angelegte Spannung (Ud=0) und UT die Temperaturspannung, die sich aus Kathodentemperatur T, der Elementarladung qe und der Boltzmann Konstante k zu

U_{\scriptscriptstyle T}=\frac{kT}{q_e} \hspace{33pt} (2)

ergibt. Das folgende Diagramm zeigt den gemessenen Strom in einer EB91 Vakuumdiode in Abhängigkeit von der Spannung zwischen Anode und Kathode in linearer (oben) und logarithmischer (unten) Auftragung.

In der unteren logarithmischen Auftragung wird die erwartete Exponentialfunktion für negative
Spannungen zu einer Geraden aus deren Steigung die Temperaturspannung zu UT=0.091V ermittelt
werden kann. Damit ergibt sich aus Gleichung (2) eine Kathodentemperatur von T=1056K (783°C).
Der Strom Id0 kann aus dem Diagramm sofort zu Id0=0.17mA abgelesen werden.

Dieses Verhalten bei negativen Gitter- bzw. Anodenspannungen ergibt sich aus der Tatsache, dass die aus der Kathode austretenden Elektronen eine von der Kathodentemperatur abhängige, statistisch verteilte kinetische Energie besitzen mit der sie gegen eine negative Gegenelektrode anlaufen und auf diese gelangen können. Der Strom für negative Gitter- bzw. Anodenspannungen wird daher auch als "Anlaufstrom" bezeichnet.

Damit erklärt sich natürlich sofort die Tatsache, dass eine über einen Widerstand R mit der Kathode verbundene Gegenelektrode (Gitter bzw. Anode) ein negatives Potential Ud annimmt (der Potentialreferenzpunkt "Masse" sei dabei die Kathode). Aufgrund der Parallelschaltung von R und der Kathode zu Gegenelektrode Strecke ergibt sich aus den Kirchhoffschen Regeln [2] sowie Gleichung (1) die Bedingung

I_d(U_d)=I_{d0}\cdot e^{U_d/U_{\scriptscriptstyle T}}=-\frac{1}{R}U_d

für die sich einstellende Detektorspannung ohne angelegtes HF Signal. Wir wollen diese im Folgenden als Uq (engl. quiescent) bezeichnen. Die obige Gleichung beschreibt den Schnittpunkt der Id(Ud) Kennlinie mit der Widerstandsgeraden -Ud/R und kann bei geeigneter Vergrößerung der linearen Auftragung der Kennlinie Id(Ud) graphisch gelöst werden. Dies ist im folgenden Diagramm beispielhaft für die Vakuumdiode EB91 mit einem Widerstand von R=1MΩ gezeigt.

Das Ergebnis von Uq=-0.53V stimmt im Rahmen der Messgenauigkeit der Kennlinie mit dem im
Detektionsdiagramm gemessen Wert von Uq=-0.55V überein (<5% Abweichung).
 
Kommen wir nun zur Untersuchung der zweiten wesentlichen Abweichung der realen Detektionskurven von der idealen Detektionskurve, nämlich das deutlich Abflachen der Kurve für HF Signale mit Amplituden unter ca. 0.2Vs und das damit verbundene Auftreten einer (weichen) Detektionsschwelle.

Die Abwesenheit dieser Abflachung in der idealen Detektionskurve erklärt sich damit, dass diesem Fall die Annahme einer idealen Diode mit einem scharfen Knick der Kennlinie bei Ud=0V zugrunde liegt. Genauer gesagt ist der Strom durch eine ideale Diode exakt Null für Ud<0 und wird für Ud>0 lediglich durch den Innenwiderstand der angeschlossenen Spannungsquelle begrenzt, die ideale Diode selber hat für Ud>0 dabei keinen Innenwiderstand.
 
Im Falle einer realen Vakuumdiode bzw. Gitter-Kathode Strecke haben wir es aber mit der Anwesenheit eines exponentiellen Anlaufstromes für Ud<0 zu tun. Mehr noch, aus den Detektionsdiagrammen lässt sich entnehmen, dass die Detektion für kleine und mittlere HF Signalamplituden ausschließlich im Bereich des Anlaufstromes statt findet! Dies ist dann der Fall, wenn die entsprechende Detektionskurve unterhalb der idealen Detektionskurve verläuft, da in diesem Fall das positive Maximum des HF Signals an der Anode bzw. Gitter immer noch im negativen Bereich liegt.

Wir müssen also die Detektion an der exponentiellen Kennlinie des Detektionselementes (Vakuumdiode, Gitter-Kathode Strecke) im Bereich des Anlaufstromes untersuchen. Dazu machen wir folgende Überlegung: Damit überhaupt eine Detektion statt findet benötigen wir eine nicht-lineare Kennlinie, je "nicht-linearer" die Kennlinie in einem Spannungsintervall ist, desto näher wird die Detektion an das ideale Verhalten heran kommen. Wie müssen also ein Maß für die Nichtlinearität der exponentiellen Kennlinie im Bereich des Anlaufstromes in einem gegebenen Spannungsintervall um Uq finden.  

Für die Exponentialfunktion ist (wie für jede andere stetig differenzierbare Funktion auch) innerhalb eines Intervalls eine lineare Approximation möglich. Graphisch gesehen geschieht dies durch das Anlegen der Tangente. Je besser in einem gegebenen Intervall diese Approximation ist, desto schlechter wird naturgemäß die Detektion in diesem Intervall funktionieren. Wir gehen daher aus von der Taylor Entwicklung der Kennlinie aus Gleichung (1) um die Gleichgewichtsspannung ohne HF Signal Uq bis zur 2.Ordnung und erhalten

I_d(U_d)=I_d^{(0)}(U_d)+I^{(1)}_d(U_d)+I^{(2)}_d(U_d)

mit

I_d^{(0)}(U_d)=I_d(U_q)=I_{d0}\cdot e^{U_q/U{\scriptscriptstyle T}}

I_d^{(1)}(U_d)=\frac{dI_d(U_d)}{dU_d}\Bigg\rvert_{U_d=U_q}\cdot(U_d-U_q)=\frac{I_{d0}}{U_{\scriptscriptstyle T}}\cdot e^{U_q/U_{\scriptscriptstyle T}}\cdot(U_d-U_q)

I_d^{(2)}(U_d)=\frac{1}{2}\frac{d^2I_d(U_d)}{dU^2_d}\Bigg\rvert_{U_d=U_q}\cdot(U_d-U_q)^2=\frac{I_{d0}}{2U^2_{\scriptscriptstyle T}}\cdot e^{U_q/U_{\scriptscriptstyle T}}\cdot(U_d-U_q)^2

Je größer das Verhältnis des Terms 2.Ordnung zum Term 1.Ordnung ist, desto schlechter ist die lineare Approximation und desto besser ist die Detektion in diesem Intervall. Wir definieren daher eine "Nichtlinearitätsgröße" N zu

N=\Bigg\lvert\frac{I_d^{(2)}(U_d)}{I_d^{(1)}(U_d)}\Bigg\rvert

und erhalten mit den obigen Ergebnissen sofort

N=\frac{\lvert U_d-U_q \rvert}{2U_{\scriptscriptstyle T}}

Offensichtlich müssen die HF Amplituden in die Größenordnung der doppelten Temperaturspannung 2UT kommen damit eine merkliche Nichtlinearität und damit verbunden eine merkliche Detektion auftritt. Mit den typischen, gemäß Gleichung (2) gegebenen Temperaturspannungen für Oxidkathoden von ca. 0.09V bis 0.1V (T ca. 1000K [3]) erhalten wir damit den bereits aus den experimentell ermittelten Detektionskurven offensichtlichen (weichen) Schwellenwert von 0.2Vs.

Literatur:

[1] Bretting, Jork (Hrsg.): Technische Röhren, Grundlagen, Funktionen,
 Anwendungen; Hüthig Buch Verlag Heidelberg, 1991; ISBN 3-7785-1645-0

[2] de.wikipedia.org/wiki/Kirchhoffsche_Regeln

[3] de.wikipedia.org/wiki/Oxidkathode

 

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