Ein Ausflug zu Marconis Elternhaus, 31. August 2012
Ein Ausflug zu Marconis Elternhaus, 31. August 2012
Guglielmo (seit 1924 Marchese) Marconi wurde am 25. April 1874 in Bologna geboren, er starb am 20. Juli 1937 in Rom.
Vor einiger Zeit las ich eine faszinierende zeitgenössische Biografie über Guglielmo Marconi. Das Buch „Marconi - Beherrscher des Äthers“ von Jacot, B.L. & Collier, D.M.B. aus dem Verlag Höger / Berlin aus dem Jahr 1937 hatte ich mir aus der Bibliothek der AK-Steiermark in Graz (Stellplatz 13:2:370) ausgeborgt.
Interessant daran ist, dass manches zur Person Marconis darin anders dargestellt ist als in gegenwärtigen Biographien. Eine sehenswerte Zusammenfassung des Lebens und Wirkens Marconis findet sich auch in der Dokumentation aus der Reihe Terra-X des ZDF mit dem Titel „Das unsichtbare Netz“, zu sehen auf youtube.com.
Beim Googeln von „Marconi“ stößt man nach einiger Zeit auch auf FGM.IT, die Fondazione Guglielmo Marconi in der Nähe von Bologna.
Im Zuge eines kurzen Familienurlaubs im Raum Venedig wurde ein Abstecher nach Bologna mit eingeplant. Das Marconi-Museum in der Villa Griffone, dem Elternhaus Marconis, ist nach Anmeldung und im Zuge einer Führung zugänglich. Meine in Englisch abgefasste eMail-Anfrage, ob wir zu einem ganz bestimmten Termin eine deutsch-sprachige Führung haben könnten wurde von Barbara Valotti, der Museumsleiterin, sehr freundlich beantwortet. Nachdem ich mein tiefgehendes Interesse an einer längeren Führung kund getan hatte, erfragte Frau Valotti, ob wir unseren Besuchstermin auf den nächsten Tag schieben könnten, weil dann auch ein Techniker verfügbar wäre.
Die Adresse ist leicht zu finden. Die Auffahrt zum Parkplatz bei Villa Griffone lässt noch nicht ahnen, was da noch kommt.
Rechts im Bild die Villa Griffone, das Elternhaus Marconis. Links im Bild ein Nebengebäude, in welchem der hiesige Amateurfunkverein eine Station errichtet hat.
Wir werden vor der Villa herzlichst begrüßt, Gerda – unsere Übersetzerin, stellt uns auch ihren Gatten und anschließend Herrn Bigazzi als Techniker vor, später lernen wir auch Frau Barbara Valotti kurz kennen. Gerda, aus Deutschland stammend, lebt mit ihrem Gatten seit 40 Jahren in Italien.
Nach einer kurzen Abstimmung über die Inhalte unserer Führung zeigt Gerda uns den Vortragssaal in der Villa, in welchem später noch via Beamer ein Film gezeigt wird.
Der Vortragssaal in der Villa Griffone, an der Decke hängen die Drachen mit welchen Marconi lange Antennendrähte hochgezogen hat
Wir sehen als nächstes jenen Raum, welcher vor fast 120 Jahren das Arbeitszimmer Marconis war. Marconis Vater hatte zuvor in diesem Raum Seidenraupen gezüchtet, diesen Geschäftszweig hatte der Vater aber wegen geänderter Marktbedingungen aufgelassen. Das Zimmer, der sogenannte „Silkworm Room“ wurde dadurch frei. Und der junge Marconi hatte damit in diesem Zimmer Platz für seine Experimente.
Die Arbeitstische in Marconis Arbeitszimmer wurden nach zeitgenössischen Fotos nachgestellt.
Der junge Marconi hatte eine technische Zeitschrift abboniert. Darin war ein Wettbewerb mit einem Preisgeld von 2000,- Lira ausgeschrieben. Damit wollte man zu dieser Zeit im Kreis der Wissenschafter die Suche nach neuen Stromquellen intensivieren. Marconi befasste sich vermutlich auch wegen des ausgeschriebenen Preisgeldes mit vielen Arten der Stromerzeugung, zuerst auf chemischem Wege, später befasste er sich mit Thermoelementen.
Im Bild einige von Marconis Apparaturen rund um das Thema chemische Spannungsquellen.
Nach dieser Phase interessierte er sich offenbar mehr für die Hertzschen Wellen, denn in der abbonierten Fachzeitschrift war soeben ein Bericht über den am 1.1.1894 verstorbenen Heinrich Hertz und seine Entdeckungen erschienen. Zu diesem Zeitpunkt war Marconi 19 Jahre alt, und hatte sich bereits ein solides Wissen über den damaligen Stand der Elektrotechnik erarbeitet.
Ebenfalls im Arbeitszimmer Marconis, auf diesem Bild zu sehen: Die Flinte, mit welcher Marconis Assistent das Zeichen gab, dass die Übertragung eines Morsezeichens über den Hügel hinter der Villa Griffone, über eine Entfernung von 1800 Meter, gelungen war.
Am nächsten Tisch ist die große Quecksilber-Vakuumpumpe zu erkennen, welche Marconi zum Evakuieren seiner Kohärer verwendete. Die fortlaufende Empfindlichkeitssteigerung des Empfangsapparates durch die Verbesserung des Detektors war ein wesentlicher Schritt zum Erfolg Marconis.
Nachdem das Museum auch von Schulen bzw. Schülergruppen gerne besucht wird, wurde neben dem historisch relevanten Marconi-Arbeitszimmer auch ein moderner Ausstellungsbereich geschaffen, in welchem funktionsfähige Modelle der Geräte stehen. Nicht belebte Modelle, sondern in der Originalfunktion erlebbare Funktionsmodelle. Die Frequenz der erzeugten Funksignale beträgt laut Aussage von Herrn Bigazzi etwa 200 MHz.
Die Anordnung einiger Geräte im modernen Multimedia-Raum: Hinten der Funkensender, vorne der Empfänger mit dem Marconi-Kohärer, ganz links die elektrische Klingel. Um zu beweisen, dass die Modelle „echte Funktion“ haben, hat Herr Bigazzi auch die Ladekabel für die Akkus in den Geräten abgesteckt …
Der Funkensender des Funktionsmodells in seinem Plexiglasgehäuse. Betätigt wird er über eine Morsetaste am Tisch.
Der Empfänger mit dem gläsernen Kohärer, gefüllt mit einem Tropfen Quecksilber. Der Eisen-Quecksilber-Kohärer brachte eine wesentliche Empfangsverbesserung. Die fortlaufende Vibration, um nach dem Empfang eines Signals die Empfindlichkeit des Kohärers wieder herzustellen, erfolgte durch eine Summer, welcher mit einem Arm den Kohärer „klopfte“. Das Telegraphenrelais links im Kasten ist die Ausgangsstufe des Empfängers.
Marconis Sender und Empfänger, welche das Vorbild der funktionierenden Modelle auf den letzten Bildern waren, stehen im selben Raum. Die flächige Antenne und das elektrische Gegengewicht in Form einer vergrabenen bzw. am Boden liegenden Metallplatte waren eine später patentierte Errungenschaft Marconis.
Der magnetische Detektor in der Zigarrenkiste, welchen Marconi für seine Vorführung verwendete. Das Gerät musste offenbar provisorisch gebaut werden, nachdem Teile von Marconis Gerätschaften vor einer Vorführung verloren bzw. kaputt gegangen waren.
Neben der Vitrine mit dem „Original“ steht das funktionsfähige Modell des magnetischen Detektors. Ja, das funktioniert wirklich. Die beiden Magnete magnetisieren die zahlreichen isolierten Eisenlitzen im Draht, die HF in der ersten (längeren) Spule entmagnetisiert die Eisenlitzen in Abhängigkeit von der HF-Amplitude teilweise. Die Abnehmerspule ist mit einem NF-Verstärker verbunden. Die Wiedergabe eines italienischen Radiosenders ist erkennbar.
In einer Glasvitrine steht ein uhrwerksbetriebener magnetischer Detektor mit umlaufendem Stahldraht, und zwei Detektor-Systemen (das System auf der Rückseite entspricht genau dem sichtbaren System). Das Aufziehen des Uhrwerks wurde von den Marconi-Funkern schon dann und wann vergessen, womit natürlich auch kein Empfang möglich war … vielleicht ist das aber auch nur eine alte Geschichte.
Der Vorführraum im ersten Stockwerk des Gebäudes. Auch hier wird den Besuchern das Erleben der Funktechnik ermöglicht. Im Bild vlnr. mein Sohn Patrick, Gerda – unsere Übersetzerin, mein Tochter Romina und meine Gattin Ulrike. Rechts im Bild Herr Bigazzi.
Es ist den Besuchern nicht erlaubt, die Geräte selbst in Betrieb zu nehmen, die Induktionsspannungen sind (auch wegen der Schwingkreise) gewaltig. Aber der Sender und der Empfänger funktionieren einwandfrei, wie uns Herr Bigazzi mehrfach vorführt.
Der Funkensender besteht hier aus dem Induktor, und parallel zur Funkenstrecke führen zwei Drähte zu einer Leydener Flasche. Der Schwingkreis besteht nun aus den Drähten zum Kondensator und der Kapazität desselben, wie Herr Bigazzi erklärt. Die Spannung reicht jetzt schon für etwa 8 cm lange und schwer kontrollierbare Funken, wie wir sehen. Beim Betätigen der Morsetaste entsteht beinahe ein Feuerwerk durch Überschläge an unerwarteten Stellen.
Ein Highlight der Ausstellung: Eine Marconi-Schiffsfunkstelle
Für mich persönlich ist die im Museum originalgetreu aufgebaute, vollständige Schiffs-Funkstelle das beeindruckendste Exponat. Eine enge Funker-Kabine, Bullauge in der Wand, und die Möglichkeit, Funkbetrieb in Telegraphie wirklich zu erleben.
Der starke Funkensender erzeugt in Betrieb (unter Leistung) einen absolut ohrenbetäubenden Lärm. Herr Bigazzi macht die HF-Leistung im Antennenkreis sichtbar - durch 3 Windungen Draht, Durchmesser 30 cm, und eine kleine Glühbirne. Die Umschaltung der Frequenz erfolgt auch durch Zu- oder Abschalten von Leydener Flaschen (den Kondensatoren) des Schwingkreises. Alles in dieser Funkkabine ist funktionsfähig. Ein unvergleichliches Erlebnis.
Woher kommt die große Zahl an Funkensendern und Empfangsapparaten? Geräte, die so selten sind, dass sie nahezu unbezahlbar sind? Die Villa Griffone war nach dem Krieg vollständig ausgeplündert. Bei den Geräten handelt sich um Nachbauten von Herrn Bigazzi. Unter Verwendung originaler Materialien und Bestandteile. Auch die „Alterung“ vieler Geräte ist künstlich durchgeführt. Das ist auch das Besondere an der „Bigazzi-Collection“. Langsam wird mir klar, welch ein brillanter Techniker Herr Bigazzi ist – dem übrigens die gesamte Sammlung an ausgestellten Geräten gehört. Seine Vorstellung als „Techniker“ war wohl eine Untertreibung unserer Übersetzerin Gerda.
Einige schöne Röhren und Röhrengeräte sind in der Ausstellung ebenso zu sehen.
Ein 2-Röhren Empfänger, Fabrikat MILAN RADIO, Jahrgang 1925-1928 mit Hornlautsprecher und Rahmenantenne. Hier sichtbar das Einschalten des Empfängers durch Aufdrehen der Röhrenheizung. Und wiederum ist ein italienischer Rundfunksender mit gutem Klang zu hören. Ein leichtes Verstimmen der Rahmenantenne mit der Hand bringt den Sender zum Verstummen.
Am Tisch ist in der Mitte der erste Marconi-Röhrenempfänger der italienischen Armee zu sehen, Type BARDELONI, Baujahr 1914-1918. Mit diesem Empfänger wurden auch die Aussendungen von Flugzeug-Funkensendern aufgenommen, zwei Sender aus der Zeit 1914-1918 stehen rechts am Tisch. Links hinten auf einem weiteren Tisch ist ein Fu.G. Berta 1 und ein Feld-Hellschreiber zu sehen, natürlich betriebsbereit – Herr Bigazzi führt uns auch diese Geräte vor.
Herr Bigazzi ist auch ein begeisterter Sammler alter militärischer Funktechnik. Gerne führt er einen besonderen Notfunksender vor, das amerikanische „Gibson Girl“ BC-778. Ein röhrenbestückter Mittelwellensender mit Kurbeldynamo und automatischem Telegraphie-Notsignalgeber. Natürlich funktionsfähig.
Herrn Bigazzi kennen zu lernen war ein faszinierendes Erlebnis. Als er mich – als geprüften Amateurfunker (Rufzeichen OE6TZE) - und meinen Sohn noch dazu einlud, ausnahmsweise im Vorraum seines Laboratoriums im Keller seine Sammlung funktionierender historischer militärischer Funkgeräte anzusehen war ich endgültig überzeugt, einen außergewöhnlichen Menschen getroffen zu haben.
Die funktionsfähigen Marconi-Geräte, ausgestellt in der Villa Griffone, an diesem Ort, sowie die Detailkenntnisse von Herrn Bigazzi, welche er sich erarbeitet hat in der intensiven Auseinandersetzung mit den Geräten im Zuge des originalgetreuen Nachbaues machten mir den Besuch des Museums zu einem unvergleichbaren Erlebnis. Herr Bigazzi bedauerte zum Abschied mir gegenüber noch aufrichtig seine mangelnden Sprachkenntnisse in Deutsch und Englisch.
Frau Valotti hat ihre Arbeit vor langer Zeit bei der Fondazione Guglielmo Marconi im Rahmen ihrer Diplomarbeit über Marconi begonnen.
Im Shop des Museums sind zahlreiche Bücher, die meisten in italienischer Sprache, aber auch einige in Englisch zu erwerben. Besonders hinweisen möchte ich noch auf die 93. Ausgabe der italienischen Sammlerzeitung ANTIQUE RADIO, welche sich zweisprachig (italienisch und englisch) als Jubiläumsausgabe mit dem Marconi-Museum beschäftigt. Exzellente Fotos und Erklärungen sind darin zu finden. Die Zeitschrift ist im Shop (günstig) erhältlich. Sehr empfehlenswert!
Inzwischen wurde ein geringer Preis für den Eintritt und die Führung durch die Ausstellung eingeführt, nachzulesen auf www fgm.it
Ein Cafe oder ähnliches für die Besucher gibt es derzeit nicht, die 1 bis 2 ½ Stunden dauernde Führung kann man aber noch im Park um die Villa ausklingen lassen.
Wenn Interesse an der Ausgangssituation (nach Heinrich Hertz) und dem Beginn der praktischen Nutzung der Funk-Technik besteht, so kann ich einen Besuch dieses Museums bedingungslos empfehlen. Herausragend ist, dass die meisten Ausstellungsstücke in voller Funktion erlebt werden können. Und: Marconi hat den Nobelpreis nicht geschenkt bekommen, er hat ihn sich - aus heutiger Wahrnehmung - vor allem durch seine praktische Arbeit, im Freien, an der Luft, vielen Widrigkeiten trotzend, verdient.
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Alle Fotos: Eigene Aufnahmen vom 31.8.2012, mit Erlaubnis der Fondazione G.M.
Anlagen:
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