Es wird gelegentlich die Meinung vertreten, daß der Volksempfänger VE301 absichtlich so ausgelegt worden sei, daß keine Auslands-Sender empfangbar sein sollten. Dem widerspricht ein Bericht von Prof. G. Leithäuser, der vor dem offiziellen Verkauf des VE301 praktische Empfangsversuche gemacht hat.
30. JUNI 1933 Funk-Bastler Heft 27, Seiten 417 – 418
FACHBLATT DES DEUTSCHEN FUNKTECHNISCHEN VERBANDES E.V.
Empfangsversuche mit dem Volks-Empfänger
Von
Prof. G. Leithäuser
Über die Gedanken, die zur Schaffung des Volksempfängers führten, haben wir bereits in Heft 18 des "Funk-Bastler" berichtet. Wir waren ferner in der Lage, in Heft 20 und 21 auf Grund authentischer Informationen und im Einvernehmen mit der Wirtschaftsstelle für Rundfunkapparatefabriken Mitteilungen über die vom Propaganda-Minister geforderten Leistungen sowie über konstruktive Einzelheiten zu machen. Nachstehend berichtet nun Prof. Dr. Gustav Leithäuser, unter dessen Leitung die Kommission zur Erprobung des Volksempfängers in den wichtigsten Gegenden Deutschlands stand, über die Leistungen des neuen Volksempfängers, der zunächst in 100 000 Exemplaren – davon 75 000 Wechselstrom-, 15 000 Gleichstrom- und 10 000 Batteriegeräte – in Fabrikation genommen wird. Der Preis des Wechselstromempfängers mit eingebautem Freischwinger-Lautsprecher wurde endgültig auf RM. 76,-- einschließlich Röhren festgesetzt.
Nachdem die Entscheidung der Deutschen Funkindustrie dahin gefallen war, für den gelegentlich der Funkausstellung 1933 im Auftrag des Propagandaministeriums herauszubringenden Volksempfänger den Einkreis-Zweiröhrentyp festzusetzen, handelte es sich darum, mit einem solchen Mustergerät innerhalb von Deutschland Versuche anzustellen. Die Versuche, die von einer besonderen Kornmission unternommen wurden, sollten sicherstellen, daß man mit dem gewählten Typ den Deutschlandsender einerseits und den Bezirkssender andererseits überall in Deutschland empfangen könne. Es ist von besonderer Bedeutung, das ausgewählte Gerät tatsächlich praktisch an möglichst vielen Empfangsplätzen einzusetzen. Es läßt sich zwar im Laboratorium mit weit ausreichender Genauigkeit die Empfindlichkeit, Selektivität und auch die Qualität der Wiedergabe einwandfrei messen, allein der praktische Einsatz zeigt doch das Verhalten des Empfängers gegenüber Störungsfeldern und zeigt auch besonders, mit welchen Feldstärken man an den einzelnen Empfangsplätzen zu rechnen hat, und welche Schwierigkeiten in den einzelnen Gebieten Deutschlands auftreten.
Da das Gerät mit zwei Röhren ausgestattet worden ist, mußten hierfür möglichst die besten auf dem Markt befindlichen genommen werden. Die Eingangsröhre REN904 und die Schirmgitterröhre RE164 haben sich in der Tat als außerordentlich geeignet erwiesen. Neben den beiden Netzanschlußtypen, dem Gerät für Wechselstrom- und Gleichstrom-Netzanschluß, mußte noch ein Batterieempfänger entwickelt werden, da ja viele Volksgenossen über keinen elektrischen Anschluß im eigenen Heim verfügen. Für dieses Gerät mußte eine Dreiröhrenschaltung gewählt werden, da gleich günstige Röhren wie für die Netzanschlußgeräte für Batteriezwecke noch nicht entwickelt sind.
Von besonderer Wichtigkeit ist bei dem neuen Empfänger einerseits die Frage der Antenne und andererseits die Frage der Selektivität. Die Selektivität ist durch besonders geschickte Spulenabmessung und Spulenaufbauart gesteigert worden, und zwar durch Verwendung von Spulen, die Dämpfungsdekremente von nur 2 % besitzen. Als Antenne ist für den neuen Empfänger die Eindrahtaußenantenne von etwa 15m bis 20m Länge das Gegebene. Es läßt sich zwar auch mit einfachen Drahtanordnungen im Zimmer ein ausreichender Empfang erreichen, doch ist bei solchen Antennen die Kopplung mit den Störungsfeldern der Häuser nicht zu umgehen und darum der Empfang mehr oder minder beeinträchtigt. Da aber eine gute Antenne als der beste Verstärker anzusehen ist, so sind die Leistungen des neuen Gerätes mit einer 20m Außenantenne in der Großstadt gut, auf freiem Lande geradezu hervorragend zu nennen.
Die Fahrt der Kommission zur Prüfung des Empfängers erstreckte sich über Mitteldeutschland, Bayern, Württemberg, den Schwarzwald und die Rheinebene. Sodann wurden in der Eifel und weiterhin bei Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg die Empfangsbedingungen untersucht. Als Gesamtergebnis läßt sich zunächst angeben, daß in allen Gegenden größerer ebener Ausbreitung, vornehmlich in der norddeutschen Tiefebene, die Leistungen des Gerätes weit über die der Industrie gestellten Forderungen hinausgehen. Auch die Selektivität ist in jeder Beziehung ausreichend. So gelang es beispielsweise zwischen Bremen und Hamburg bei hohem Sonnenstand zur Zeit des frühen Nachmittags im Langwellenbereich Königswusterhausen, Paris, Kalundborg und Huizen mit guter Lautstärke zu empfangen, wobei in Folge der größeren Nähe Kalundborg vorzüglich laut war. Im Kurzwellenbereich waren die beiden Sender Hamburg und Bremen mit größter Lautstärke, die Sender Leipzig, Frankfurt, Langenberg, Breslau mit ausreichender guter Lautstärke zu empfangen; dabei war die benutzte Antenne ein einfacher 15 m langer Draht, der in etwa 6 in Höhe über dem Boden ausgespannt war. Dieses Beispiel mag zeigen, wie sich das Gerät in der Ebene benimmt, und welche Ansprüche man demnach an den Empfang auf dem freien Lande stellen kann.
Anders ist das Bild jedoch, wenn man in gebirgiges Gelände geht. Insbesondere ist die Aufgabe, den Deutschlandsender einwandfrei zu empfangen im gebirgigen Gelände, insbesondere in tieferen Tälern, nicht immer lösbar. Zwar ist in den Abendstunden auch an den Stellen schlechten Tagesempfanges ein erheblicher Zuwachs an Lautstärke festzustellen, allein ganz ausreichend wird der Empfang nicht immer. Es zeigt sich aber, daß an den Stellen, an denen Königswusterhausen mit dem neuen Gerät schlecht zu erhalten war, auch Geräte mit sehr viel größerer Röhrenzahl nicht immer Befriedigendes leisteten. Danach hat es den Anschein, als ob dieses Problem von der Empfangsseite nicht so einfach gelöst werden kann, sondern daß man es senderseitig angreifen muß.
Hierfür würden drei Lösungen möglich sein: die erste wäre eine Verstärkung der Energie des Deutschlandsenders. Es ist allerdings zweifelhaft, ob selbst bei doppelter Energie dieses Senders bei zerklüftetem Gelände ausreichender Empfang zu erzielen ist. Eine zweite Lösung wäre durch die Aufstellung eines starken Relaissenders für den Deutschlandsender etwa in der Gegend der Schwäbischen Alb gegeben. Bei einem solchen Verfahren dürfte aber die Zuteilung der Welle auf Schwierigkeit stoßen, da ja bekanntlich für stärkere Sender die Wellen des Rundfunkbereiches in Europa meist besetzt sind. Die dritte Lösung würde darin bestehen, daß mehrere Sender auf gleicher Welle als Relaissender für den Deutschlandsender eingesetzt würden. Ein solches Gleichwellennetz brauchte für den einzelnen Sender keine allzu erhebliche Energie zu besitzen, auch wäre wohl auf die große Genauigkeit in der Wellengleichheit kein besonderer Wert zu legen, sondern nur darauf zu achten, daß beim gleichzeitigen Arbeiten dieser Sender kein hörbarer Interferenzton auftritt.
Hinsichtlich der in Deutschland vorhandenen Gleichwellensender zeigte sich übrigens auf dieser Beobachtungsfahrt, daß bei sehr genauer Wellengleichheit der einzelnen Sender durch die Phasenlaufzeit auf den verbindenden Leitungen im beobachtenden Empfänger Interferenztöne eintreten können, welche in ihrer Intensität sehr flattern. Auch bei Beobachtung der Sprache oder Musik auf dieser Welle hört man ein dauerndes periodisches Auf- und Abwallen der Stärke der Darbietung, wobei die Periodendauer oft nur eine halbe Sekunde beträgt. Diese Erscheinungen würden wegfallen, wenn man die sehr genaue Übereinstimmung der beiden Wellen verließe und etwa einen Spielraum von 20 Hertz zuließe.
Von besonderem Interesse waren die Beobachtungen in der Rheinebene. Hier stören der Straßburger Sender und der neue Sender in Luxemburg infolge ihrer großen Intensität. Aber auch in der Nähe von Straßburg läßt sich durch einen besonders für den Volksempfänger gebauten Sperrkreis eine Ausblendung des Störers in völlig befriedigender Weise ermöglichen. Die Empfangsfeldstärke von Königswusterhausen sank in jener Gegend jedoch sehr. Bei einer Annäherung an die Ausläufer des Schwarzwaldes kommt man scheinbar öfters in den Schatten für die Welle des Deutschlandsenders, so daß er äußerst schwierig aufzunehmen ist, während nur wenige Kilometer weiter oft ein Empfang von mehr als ausreichender Stärke festzustellen ist.
In Ostpreußen und gegebenenfalls in der Gegend von Gleiwitz sind Störungen durch Warschau bzw. Kowno möglich. Aber auch hier wird durch einen einfachen Sperrkreis der Empfang von Königswusterhausen möglich sein. Nur für in empfangstechnischer Beziehung ganz besonders gefährdete Stellen in Ostpreußen, an denen die Stärke von Kowno und Warschau die Empfangsstärke von Königswusterhausen übertrifft, wird man vielleicht zu einem doppelten Sperrkreis greifen müssen. Hierüber sollen gegebenenfalls noch weitere Versuche angestellt werden.
Zusammenfassend kann man auf Grund dieser Versuche angeben, daß der Typ des neuen Volksempfängers nicht nur das leisten wird, was von der Industrie für dieses Gerät festgesetzt wurde, sondern daß an den meisten Orten von Deutschland, besonders aber in der Norddeutschen Tiefebene durch die Verwendung von einer einfachen Eindrahtantenne von etwa 20 in Länge als Außenantenne, von dem Gerät weit mehr geleistet wird, als tatsächlich verlangt wird.
Die größte Sorge der Entwickler des VE301 war demzufolge, ein möglichst preiswertes Gerät mit ausreichender Empfangsleistung zu produzieren, das sich der "kleine Mann" damals leisten konnte. Daß als Röhrensatz "die besten auf dem Markt befindlichen" genommen wurden, gehört sicherlich auch schon in das Reich der Propaganda.
Und daß der Rundfunk von den damaligen Machthabern mißbraucht wurde, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Einige technische Informationen zur Empfangsleistung des VE301 kann dem Text trotzdem entnommen werden.
MfG DR
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