Halbleiter-Bastlerbeutel in der DDR

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ID: 224040
Halbleiter-Bastlerbeutel in der DDR 
12.Jul.10 10:22
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Wolfgang Eckardt (D)
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Wolfgang Eckardt

Bei der Herstellung von Halbleitern - Dioden, Transistoren, Schaltkreise - fallen relativ viel Exemplare an, die zwar voll funktionsfähig sind, aber in einigen Parametern von den garantierten Werten abweichen. Um sie nicht verschrotten zu müssen, gab es schon frühzeitig Bestrebungen, diese Bauelemente preiswert für Experimentalzwecke oder untergeordnete Anwendungen zu vermarkten. Das war in Deutschlands Westen nicht anders als im Osten. (siehe z.B. hier.)

In der DDR wurde ein Teil der Transistoren als L-Typen gekennzeichnet, als Typenreihe für "Lehr- und Amateurzwecke mit größerem Toleranzbereich", für die sogar extra Datenblätter herausgegeben wurden. ("Die neue Bastler-Schaltung", Heft 1/1966, Hrsg. HFO oder Katalog "Halbleiter-Bauelemente", HFO 1965).
Anfangs klassifizierte man nur in wenige Gruppen mit LA...., z.B. LA25, LA50, LA100, LA1, LA4, LA30, LA40, später konnte man aus der Bezeichnung mit dem vorangestellten "L" die serienmäßige Typenreihe erkennen, aus der diese Halbleiter ausgewählt wurden, und der zweite Buchstabe deutete auf den Einsatzzweck und die Bauform hin,  z.B. LC815, LC824, LD830, LD835, LF871, LF880. Einige davon sind auch im RM angelegt. Schaltkreise erhielten einen anderen Buchstaben vorangesetzt, aus dem D100D wurde so ein R100D. (siehe z.B. hier.)

Der weitaus größere Teil dieser "Halbleiter mit größerem Toleranzbereich" wurde aber nicht gestempelt sonder einfach "getütet" in Bastlerbeuteln, vereinzelt noch mit Farbmarkierung versehen.

    In den 60er-Jahren kam der Unternehmer Moritz Hädrich, Inhaber der Firma MHS in Saalfeld auf die Idee, Transistoren, die in den Halbleiterwerken nach ihrer Prüfung nicht die erforderlichen Parameter aufwiesen, als „Bastlerware“ vor der Verschrottung zu retten und für die zahlreichen Radio-Amateure abgepackt in den Handel zu bringen. Die Idee der Halbleiter - Bastlerbeutel war geboren. Der „verwertbare Ausschuss“ konnte den sehnsüchtig auf moderne Halbleiter wartenden Amateuren und Bastlern übergeben werden. Eine ungeahnte Bastlerwelle mit den preiswerten Bauelementen setzte ein und jede Menge Literatur mit Bastelvorschlägen erschien! Deren Qualität entsprach allerdings nicht immer den Wünschen der "Bastler", was diese allerdings meistens erst feststellten, wenn die Schaltung nicht funktionierte oder die Transistoren den "Hitzetod" gestorben waren. (Das war in den 20er-Jahren nicht anders - nur mit Röhren!) 

Wegen der relativ großen Streubreite der Werte der einzelnen Halbleiter war es notwendig, dass sich der Bastler ein einfaches Prüfgerät baute, mit dem er die Transistoren wenigstens nach den wichtigsten Parametern auswählen und vergleichen konnte. Bei den Ge-Transistoren waren vor allem der Reststrom und der Verstärkungsfaktor wichtig. So konnte man aber auch aus der Menge der Halbleiter gelegentlich einen „herausragenden“ Transistor fischen, der für anspruchsvolle Aufgaben, wie die rauscharme Eingangsstufe eines NF-Verstärkers, geeignet war.
 
Nur wenige dieser Beutel kamen unter dem Firmennamen „Hädrich“ in Umlauf, denn die Verstaatlichung seines Betriebes erfolgte und die Firmierung lautete nun VEB Polytronic Saalfeld /S.
 
Da die ungetypten Halbleiter wahrscheinlich in sehr großer Stückzahl anfielen, war der kleine Betrieb, der sich hauptsächlich mit der Herstellung von Experimentier-Baukästen für Schule und Privathand befasste (Baukastensysteme Polytronic ABC und Elektronik ...), überfordert, so dass weitere Auflagen der Bastlerbeutel durch die Halbleiterbetriebe selbst vermarktet wurden.
Jedem dieser Beutel war ein Heft beigelegt, das einige typische Schaltungen und Bauanleitungen enthält. Auf den Rückseiten der Hefte waren die jeweils ausliefernden Firmen je nach Inhalt der Bauelemente zu lesen.
 
 
Insgesamt erschienen 10 verschiedene Bastlerbeutel mit diskreten Bauelementen über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren. Dadurch änderte sich natürlich auch der Inhalt, da ja z.B. Transistoren aus den ersten Beuteln um 1960 andere Bauformen, Parameter und Bezeichnungen hatten als die in 70er-Jahren hergestellten Typen. Gelegentlich half man auch mit Importtransistoren nach, von denen einige nicht immer die gewünschten industriellen Parameter erreichten oder weil in der DDR die Produktion von UKW-Transistoren auf Ge-Basis eingestellt wurde. Auch das Layout der Hefte änderte sich.

 
Folgende 11 Beutel sind bekannt, deren "Füllung" mit diskreten Halbleiter-Bauelementen aber unterschiedlich sein kann:
 
Halbleiter-Bastlerbeutel        RFT - electronic
 
Nr.
Transistoren
Techn. Hinweise
Anwendung
Anzahl
Typ / aus Baureihe
1
11
 
 
 
3
OC815 - OC821
GC115 - GC123 GC100, GC101
 
GC301
Ge-pnp-Typ
 
P=50 - 120 mW
 
P=400 mW
 
NF-Verstärker, Prüfgeräte, Elektronik-Schaltungen
(7,50 M)
2
6
 
 
 
4
OC870;
GF100 - GF105
 
GF122;
GF130 - GF132
 Import SU
Ge-pnp-Typ
 
HF-Transistor
 
HF-/UKW-Drift-Transistor
Empfängerschaltungen
LW-KW,
 
AM/ FM- ZF-Verstärker
UKW-Empfänger
(10,00 M)
3
 
2
 
 
2
 
1
OC830 - OC833
GD100 - GD130
 
OC835 - OC837
GD150 - GD180
 
GD240 - GD244
Ge-pnp-Typ
1 W
 
5,3 W
 
 
10 W
NF-Verstärker
stabilisierte Netzteile
Elektronikschaltungen
(7,10 M)
4
4
 
 
4
 
 
4
OY100 - OY105
GY099 - GY105
 
OY110 - OY115
GY109 - GY115
 
SY200 - SY210
0,1 A, Ge-Gleichr.
 
 
1 A, Ge-Gleichr.
 
1 A, Si-Gleichr.
 
 
Stromversorgung
 
(8,00 M)
4/5
4
GY120 - GY125
10 A, Ge-Gleichr.
Stromversorgung für höhere Ströme  (15,00 M)
5
4
SY160/SY166
10 A, Si-Gleichr.
Stromversorgung für höhere Ströme  (15,00 M)
6
20
SC206, SC207
SF215, SF216
SS200, SS202
Si-Miniplast-Transistoren
NF-, HF- und Elektronik-Anwendungen  (9,90 M)
7
6
 
 
6
SF131 - SF137
SS106 - SS109
 
SF021 - SF129
SS120 - SS126
300 mW
 Metallgehäuse
 
600 mW
Metallgehäuse
 
NF-, HF- und Elektronik-Anwendungen
(10,30 M)
8
4
 
1
 
1
 
1
 
1
D100
 
D110
 
D120
 
D130
 
D140
IS1 (ohne Kennz.)
 
IS2 (weiß)
 
IS3 (gelb)
 
IS4 (braun)
 
IS5 (blau)
4 NAND-Gatter mit
 je 2 Eingängen
3 NAND-Gatter mit
je 3 Eingängen
2 NAND-Gatter mit
je 4 Eingängen
1 NAND-Gatter mit
 8 Eingängen
2 Leistungs-NAND-Gatter mit je 4 Eing.         (34,90 M)
9
5
 
5
 
2
SF240-SF245
 
SF225
 
SF129
Si-Transistoren
geregelte ZF/HF-Verst.
 
ungeregelte ZF/HF-Verst.
 
für höhere Spannungen
>100 V       (7,55 M)
10*
6
SU161-SU165
Si-Leistungs-Transistoren
Steuern, Regeln (Transverter, Ladegeräte, Netzteile)

 In der Anlage ist diese Übersicht mit je einer Abbildung des Beutels bzw. des Begleitheftes zu sehen. Teilweise liegen diese Beutel noch im zugeschweißten Originalzustand vor.

Wolfgang Eckardt

 

Nachtrag:

* Für den "Bastlerbeutel 10" erschien später eine verbesserte Auflage als  "Bastlerbeutel 15",  in dem  5 Stück der leistungsfähigeren  Si-Leistungstransistoren aus der Reihe SU169 (TO3-Gehäuse) enthalten waren.

 

Es waren noch weitere Produkte im Handel, die die Bezeichnung "Bastlerbeutel" trugen, doch waren diese bis auf eine Ausnahme (Nr. 15) keine Zusammenstellungen diskreter Halbleiterbauelemente sondern trugen mehr den Charakter von "Bausätzen" mit konkreter Zielstellung für Bauobjekte. So gab es komplette Bausätze (Bastlerbeutel) für Lichtschranken, Zeitgeber,  Ziffernanzeigen, Hall-Generatoren, OP-Verstärker u.a., die auschließlich auf der Basis von "Integrierten Schaltkreisen" bzw. "Mikroelektronik" ausgelegt waren. Die Hefte trugen daher auch auf dem vorderen Umschlag oben die Bezeichnung "Mikro-Elektronik" und nicht mehr "Halbleiter".
 

Im vorstehenden Beitrag sollte es ausschließlich um die Bastlerbeutel mit diskreten Bauelementen der Halbleitertechnik gehen, wobei eigentlich die Nr. 8 schon eine Ausnahme ist.

W.E. 

 

Anlagen:

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

 2
Bastler-Transistoren "säckeweise"? 
21.Jul.10 15:38
383 from 16697

Wolfgang Eckardt (D)
Ratsmitglied
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Anzahl Danke: 11
Wolfgang Eckardt

Wie der jetzt aufgefundene Beipackzettel belegt, gab es die Bastlertransistoren und -dioden - also den verwertbaren Ausschuss - nicht nur in Bastlerbeuteln sondern in den 1960er-Jahren auch fast "säckeweise" nach Sortimenten unterteilt aus dem Halbleiterwerk Frankfurt /O.  - 150 auf einen Streich .....

Der vorgefundene Plastikbeutel enthielt noch ein paar Restexemplare - und diesen Beipackzettel.

W.E.

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.