Neo-Bechstein Flügel mit Radio

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Neo-Bechstein Flügel mit Radio 
27.Feb.07 15:17
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Im "Talk" neo_bechsteinfluegel_1931_auch_als_erstes_musikcenter  wurde der Neo-Bechstein Flügel als Elektronisches Musikinstrument angesprochen.

Dieser Neo-Bechstein Flügel ist tatsächlich kein Flügel im herkömmlichen Sinne, sondern er nutzt die elektomagnetische Schallabnahme von den schwingenden Saiten und deren elektronische Verstärkung.  Zu diesem Zweck sind für je 5 Saiten gemeinsame Abnehmersysteme angebracht.



 Die zugehörigen hufeisenförmigen Magneten sind im Bild deutlich erkennbar.
Ebenso deutlich sieht man die seitliche Aussparung in der Wand des Flügels mit dem dahinter befindlichen Radio. Bei diesem Radio handelt es sich (alternativ) entweder um ein Siemens 22bW oder um ein Telefunken 121W, wie die nächsten Bilder zeigen.


Siemens 22bW mit "Riesenskala" http://www.radiomuseum.org/r/siemens_siemens_22_bw_riesenskal.html


 
Telefunken 121W ("Riesenskala" hinter dem Fenster!)
http://www.radiomuseum.org/r/telefunken_121w.html

An der Entwicklung des Neo-Bechsten Flügels war Walter Nernst beteiligt. Hierzu ein Ausschnitt aus einem Vortrag, den Mag. Peter Donhauser am 03.11.06 im Deutschen Technikmuseum Berlin gehalten hat:
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Peter Donhauser

Technische Spielerei oder phantastische Realität?
Telefunken und die ersten elektronischen Instrumente in Deutschland


Teil 3

Abb. 3: Nernst vor einem Funktionsmodell des Neo-Bechstein (Privatbesitz)



Die Verhältnisse beim „Neo-Bechstein“ liegen komplizierter als bei den bisher erwähnten Instrumenten. Es handelte sich dabei um ein resonanzbodenloses Klavier, dessen Saitenschwingungen elektrisch verstärkt werden sollten. Die Idee, Saitenschwingungen elektromagnetisch abzutasten stammte von unterschiedlichen Personen. Für das fragliche Instrument waren wohl die Arbeiten des Ungarn Stephan Frankó grundlegend. Er erhielt am 24. Dezember 1928 ein Patent für ein „Radioklavier“, in dem er verschiedene Methoden für die Tonerzeugung beschrieb.1 Ein zweites Patent aus 19292, ebenfalls zur Abnahme von Saitenschwingungen wurde dann ein Jahr später gemeinsam mit dem Nobelpreisträger Walther Nernst nochmals in Österreich und Frankreich angemeldet. Die Entwicklung konzentrierte sich um das Physikalische Institut der Universität Berlin, dessen Leiter zu dieser Zeit Nernst war. Später wurde er als „Galionsfigur“ allein für die „Erfindung“ in der Öffentlichkeit genannt.

An der Entwicklung beteiligten sich vor allem Nernsts Assistent, Hans Driescher und der junge Elektrotechniker Oskar Vierling, der zu dieser Zeit dort Physik studierte (Vierling sollte später eine wesentliche Rolle in der „Elektromusik-Szene“ spielen, hatte aber kein Vertragsverhältnis zu Telefunken elektrische Instrumente betreffend). Auf Driescher gingen die Verkleinerung der Hammermasse3 (letztlich „Mikrohämmer“ genannt) und die Zusammenfassung von fünf Saiten zur Abnahme durch einen einzigen Magneten zurück4. Als Mitarbeiter Nernsts war Driescher vor allem federführend an den Experimenten mit verschiedenen Verstärkern und Lautsprechern beteiligt. Letztendlich übertrug man jedoch die weitere Entwicklung an Siemens, der klaviertechnische Teil wurde gemeinsam mit Bechstein gebaut. Mit ein Grund für das Engagement der renommierten Klavierfirma war die dramatische Rezession bei der Klavierindustrie in weiterer Folge der Weltwirtschaftskrise: man suchte nach neuen, marktgerechten Produkten.

Nernst schloss per 11. April 1931 mit Siemens einen für ihn ungemein günstigen Vertrag auf die Laufzeit der mit dem Flügelbau verknüpften Patente ab.5 Geltungsbereich war die ganze Welt bis auf die USA und Kanada (Nernst wollte sich den Rücken hinsichtlich dieses Marktes freihalten und direkt mit Bechstein abrechnen.6 Dies verwundert insoferne nicht, als Nernst praktisch den gesamten Erfindungsumfang in den USA unter seinem Namen patentieren ließ7). An Lizenzgebühren wurde vereinbart: 8% für jeden Flügel, jedoch nicht mehr als RM 100.- bei einer eventuellen Reduktion auf 6% nach den ersten 100 verkauften Stück. Sofortzahlung von insgesamt RM 50.000.- als Vorauszahlung für in der Folge zu entrichtende Lizenzgebühren. Dieser Vertrag ging mit Wirkung vom 1. Oktober 1931 auf Telefunken über. Nernst erwies sich bei der Erstellung des Vertrags als sehr geschäftstüchtig, was auch bei anderer Gelegenheit von seinen Kollegen bemängelt wurde: „Ohne Nernsts große wissenschaftliche Verdienste in Abrede stellen zu wollen, verzieh man ihm nicht sein offensichtliches Streben nach Karriere ... und nicht die Million, die er für die ‚Nernstlampe’ einnehmen konnte, ... die sich kommerziell nicht bewährte. ... Kurzum, man glaubte, daß Nernst seine wissenschaftlichen Verdienste zu seiner Bereicherung ausnutzte.“8 Der Autor dieser Zeilen, den Nernst 1930 sogar für den Lehrstuhl für Physik in Berlin vorgeschlagen hatte, urteilte an einer anderen Stelle noch härter: „Augenscheinlich waren die Jahre, in denen ich Nernst kannte, die Periode, in der seine schöpferische Tätigkeit nachließ und er in den reichen Verhältnissen eines Millionärs, dessen einstige Energie erlahmt war, seinem vergangenen Ruhm lebte.“9 Vierling, Frankó und Driescher erhielten Abschlagszahlungen in vergleichsweise geringer Höhe. Nach einer Auseinandersetzung mit Driescher (dieser hatte Nernst nach einer Vorführung des Neo-Bechstein in Hannover nicht rasch genug informiert) teilte Nernst überhaupt mit, dass aufgrund seiner hohen Nebenkosten eine weitere finanzielle Beteiligung seiner Mitarbeiter „natürlich ausgeschlossen“ wäre. Nernst hätte „selber finanzielle Vorteile von meinem Klavier kaum gehabt“.10

Das fertige Instrument wurde am 25. August 1931 prominent der Presse vorgestellt und in der Folge aufgrund der „klingenden Namen“ auch entsprechend gelobt. Die Verkaufszahlen blieben jedoch drastisch hinter den Erwartungen zurück. Waren im zweiten Halbjahr 1932 noch sieben Instrumente verkauft worden, so war das im ersten Halbjahr 1933 nur mehr ein Instrument.11 Vom Neo-Bechstein sind derzeit 101 Flügelnummern bekannt (insgesamt soll es 150 Instrumente gegeben haben12). Dem Autor ist der gegenwärtige Verbleib von 16 Instrumenten bekannt, davon neun in Museen und eines im Besitz der Firma Bechstein.

1 HU 100.722: „Rádiózongora“.

2 HU 101.601: „Berendezés hangszerek által elöidézett rezgéseknek hanggá alakítására“.

3 Patent: DE 530.257 vom 9.7.1931, angemeldet 6.3.1930.

4 Patent: DE 533.999 vom 3.9.1931, angemeldet 26.2.1930.

5 Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 3504, ohne Foliierung.

6 Brief Nernsts an Telefunken vom 22.10.1932. Ebenda.

7 Patent: US 1,988.564.

8 A. F. Joffe, Begegnungen mit Physikern, Leipzig 1967, S.82.

9 Ebenda, S. 83.

10 Brief Nernsts an Driescher vom 26.1.1932, Nachlass Driescher.

11 Archiv des DTMB, Signatur I.2.60 C 3504, ohne Foliierung.

12 D.B. Herrmann, Walther Nernst und sein Neo-Bechstein-Flügel. In: NTM-Schriftenr. Gesch., Naturwiss., Technik, Med., Leipzig 9 (1972).

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Für Interessenten an (früher) elektronischer Musik sei auf das Buch verwiesen, das vor kurzem von Peter Donhauser erschienen ist: http://www.boehlau.at/main/book.jsp?bookID=3-205-77593-7

Weitere Information zu Walter Nernst und dem Neo-Bechstein Flügel findet sich unter:
http://www.nernst.de/
http://www.nernst.de/neobechstein/nb_u1931.htm
http://www.nernst.de/neobechstein/nb_press.htm
http://www.kryptonale.de/NeoBechstein.htm


Nernst am Neo-Bechsten Flügel (mit Erlaubnis von Ulrich Schmitt, Institut für Physikalische Chemie der Universität Göttingen, Verantwortlich für die Site http://www.nernst.de/)

Das Deutsche Technikmuseum Berlin hat eine Sonderausstellung bis 29.04.07 "Spiel mit Technik"
http://www.dtmb.de/Aktuelles/Sonderausstellungen/Spiel_mit_Technik/index.html
Im Ausstellungskatalog dazu findet sich auch der Aufsatz von Herrn Donhauser.

MfG DR

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Welche Idee Steckte dahinter? 
27.Feb.07 22:13

Marc Goeritz (D)
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Hallo Herr Rudolph
Mit welchem Ziel wurde der Neo-Bechsteinflügel entwickelt. Sollte dies ein Instrument zum musizieren (bzw. Üben), ohne andere zu Stören sein? Daß man also leise drehen, oder mit Kopfhörer spielen konnte. Oder wollte man ein neuartiges Instrument mit eigenem Klangcharakter schaffen? Oder Wollte man für Aufnahme bzw. Verstärkung die "Fehlerquelle" Mikrophon ausmerzen?
Mit feundlichen Grüßen
Marc Goeritz

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Welche Idee Steckte dahinter? 
28.Nov.17 21:08
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Georg Richter (D)
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Georg Richter

In Heft 46/VIII von „Das Rundfunkwesen“ vom 13.11.1931 ist auf den Seiten 928/929 folgender Bericht:


Elektromusik
Von Hans Joachim

Von mehreren Seiten her hat eine Entwicklung eingesetzt, die einem gemeinsamen Ziel zustrebt. Auf der einen Seite ist man seit Jahren bemüht gewesen, die Kombination von Rundfunkempfänger und Lautsprecher zu einer Apparatur zu entwickeln, welche musikalische Darbietungen aller Art vollkommen unverzerrt und naturgetreu wiedergibt. Was die neuesten Geräte in dieser Hinsicht leisten, ist jedem Rundfunkfreund bekannt. Ohne Übertreibung kann man behaupten, daß ihre Darbietungen sich himmelweit von der Konservenbüchsenmusik vergangener Jahre unterscheiden und als eine recht hochwertige Musik angesprochen werden dürfen. Voraussetzung dafür bleibt aber natürlich die Erzeugung einer guten Originalmusik im Senderaum und ihre verzerrungsfreie Verbreitung durch einen Sender.

Eine andere Entwicklungslinie ist von dem Problem ausgegangen, mittels bekannter Elemente der Rundfunktechnik, insbesondere mittels schwingender Röhren und Kreise unter Hinzunahme eines hochwertigen Lautsprechers unmittelbar an Ort und Stelle Elektromusik zu schaffen. Als ein wichtiger Vertreter dieser Gruppe mag hier nur Theremin genannt werden, dessen Gerät auf der letzten Funkausstellung berechtigtes Aufsehen erregte. Die dritte Entwicklungslinie schließlich geht von altbekannten und altbewährten Musikinstrumenten aus, um deren rein akustische Wirkungsweise an geeigneter Stelle zu unterbrechen und mit elektrischen Mitteln weiterzuführen. Der Hauptpräsentant dieser Gruppe ist der bekannte Berliner Physiker Geheimrat Nernst, auf dessen Elektroflügel im folgenden näher eingegangen werden soll.

Vorwegnehmend muß noch etwas über die allgemeine Theorie der älteren Musikinstrumente und diejenige des Klaviers und des Flügels im besonderen gesagt werden. Die gesamte Energie, welche alle diese Instrumente in Form von Schalleistung ausstrahlen, muß von dem Musizierenden selbst geleistet werden, sei es von den Fingern des Klavierspielers, Welcher die Tasten anschlägt, sei es von den Lungen des Musikers, der ein Blasinstrument betätigt. Die Vorteile der Elektronenröhre und der elektrischen Verstärkung, die es gestatten, mühelos Schalleistungen im Betrag von Pferdestärken zu erzeugen, waren diesen Instrumenten bisher verschlossen. Die Notwendigkeit, die gewünschte Schalleistung rein mechanisch-akustisch zu erzeugen, wirkte sich fernerhin maßgebend auf ihre einzelnen Teile aus. Beispielsweise muß ein Flügel, der einen großen Konzertsaal füllen soll, mit besonders starken und langen Saiten bespannt werden. Ein extra schwerer Metallrahmen ist erforderlich, um den mehrere Tonnen betragenden Zug dieser Saiten sicher aufzunehmen und auch der Resonanzboden, dem die Aufgabe zufällt, die Energie der schwingenden Saiten zu übernehmen und in den Raum abzustrahlen, muß entsprechend schwer und umfangreich bemessen werden. Bei Instrumenten, die nur geringere Schalleistung hergeben sollen, bei einem Klavier etwa, das nur ein mittleres Wohnzimmer zu füllen hat, können alle diese Teile begreiflicherweise leichter und entsprechend billiger ausgeführt werden.

Die erste Frage, die sich der Physiker Nernst vorlegte, ging nun dahin: an welcher Stelle kann man in einem kleineren, leichteren Saiteninstrument den akustischen Vorgang unterbrechen und elektrisch weiterführen mit dem Ziel, die starke raumfüllende Schalleistung eines schweren Instruments zu erreichen. Die Antwort ließ sich aus der Theorie des Flügels herleiten. Die angeschlagenen Saiten eines Flügels führen bereits genau jene Schwingungen aus, die über Resonanzboden und Luft zum Ohr des Hörenden gelangen und als Musik empfunden werden. Man konnte also auf den Resonanzboden und alle weitere Akustik verzichten, wenn es gelang, die Schwingungen der einzelnen Saiten in gleichartige elektrische Wechselströme umzuwandeln.

Das gegebene Mittel für diese Umwandlung war aber das elek-tro-magnetische Mikrofon, ein äußerst einfacher physikalischer Apparat, der wohl jedem bekannt ist. Es ist einfach ein kleiner kräftiger Stahlmagnet, dessen Polschuhe aus Weicheisen bestehen und von Induktionsspulen umgeben sind. Schwingt eine stählerne Klaviersaite dicht Über den Polschuhen, so ändert sich der magnetische Fluß des Stahlmagneten genau im Rhythmus der Schwingungen, und in den auf den Schuhensitzenden Spulen werden elektrische Spannungen bzw. induziert, die ebenfalls genau im Rhythmus der Saitenschwingungen verlaufen.

Im Sinne dieser Theorie ging Professor Nernst nun weiter vor. Sein Flügel, den Bild 1

in der Ansicht von oben zeigt, ist ein kleiner Stutzflügel von 1,40m Länge und hat keinen Resonanzboden. Ferner ist er nur ein- und zweichörig ausgeführt, d.h. zu jeder Taste und jedem Hammer gehören in den tieferen Tonlagen nur eine und in den höheren je zwei Saiten, während die sonst gebräuchlichen Flügel und Klaviere zwei- und dreichörig gebaut werden müssen. Schließlich sind die Saiten an der Rückwand, des Flügels zu je fünf Tönen strahlenförmig zusammengezogen, und hier liegen Über ihnen die bereits erwähnten elektromagnetischen Mikrofone. Daß sie dort am besten liegen und nicht etwa über den Mitten der schwingenden Saiten, wie man zunächst vermuten möchte, wurde von Nernst in zahlreichen mühsamen Versuchen festgestellt. Weiter erwies es sich als günstig, das Hammerwerk des normalen Flügels durch ein besonders konstruiertes Mikro-Hammerwerk zu ersetzen, welches den Saitenanschlag gerade in der für eine vollkommene Wiedergabe geeigneten Stärke bewirkt.

Das sind die wesentlichsten Neuerungen. Daß es keine besonderen Schwierigkeiten machte, die in den 18 Magnetsystemen induzierten Spannungen einem geeigneten Verstärker zuzuleiten und weiterhin auf einen Lautsprecher zu geben, liegt auf der Hand. Wie so manches Mal zeigte es sich aber auch hier, daß dem Erfinder über das ursprünglich Gewollte hinaus noch anderes Wertvolle gelungen war. Denn durch gewisse Umschaltungen der Apparatur, die von den Pedalen des Flügels her bewirkt werden, wurde es nun weiter noch möglich, die Töne dieses Elektroflügels sowohl nach Stärke als auch nach Klangfarbe weitgehend zu variieren. Das linke Pedal regelt die Tonstärke vom zartesten spinettartigen Ton bis zum vollen lautstarken Konzertflügelton. Im Verstärker selbst sind Potentiometer eingebaut, die es gestatten, die Verstärkung den jeweiligen Raumverhältnissen anzupassen. So ist der jahrhundertelange Traum der Klavierbauer, Pianisten und Komponisten erfüllt worden, einen Ton im zartesten Pianissimo anschlagen und bis zum Fortissimo durch einen leichten Pedaldruck anschwellen lassen oder umgekehrt den stark angeschlagenen Ton in beliebiger Schnelligkeit zum Abschwellen bringen zu können, nicht stufenweise, wie bei der Orgel, sondern allmählich wie bei Saiteninstrumenten oder der menschlichen Stimme. Es ist ferner von großer Bedeutung, daß die Schwingungsdauer des Tones ungefähr dreimal so lang ist wie beim bisher gebrauchten Instrument. Ein Hebelzug am Flügel gestattet, die Dämpfung wegzunehmen, so daß man langanhaltende reine Saitenschwingungen erhält, die einen dem Charakter des kontinuierlichen Harmoniumtones ähnlichen Ton erzeugen.

Als Geheimrat Nernst seine Erfindung bis zu diesem Grade entwickelt hatte, suchte er sich die geeigneten Partner für eine industrielle Verwertung. Er fand sie für den klavierbaulichen Teil in der bekannten Firma G. Bechstein, für den elektrischen Teil in der Firma Siemens & Halske, so daß dies neue Universalinstrument nun unter dem Namen Siemens-Nernst-Bechstein-Flügel auf den Markt kommen soll. Ein Universalinstrument ist es, da ihm außer den vorstehend beschriebenen Einrichtungen noch ein hochwertiger Rundfunkempfänger und ein Grammo-Laufwerk eingebaut sind. Durch diese Dreifältigkeit ergeben sich mannigfache Verwendungsmöglichkeiten. Der Spieler kann beispielsweise Geigensoli, die vom Rundfunkempfänger oder vom Grammo gegeben werden, auf dem Flügel begleiten. Ein kombiniertes Spiel ist ferner auch in der Weise möglich, daß die Grammo-Apparatur eine gute Klavierplatte reproduziert und der Spieler diese auf dem Flügel begleitet, um Tempi, Ausdruck, Phrasierungen usw. zu lernen. So sind die Anwendungsmöglichkeiten in der Tat recht bedeutend. Der alte Flügel ist durch die Nernstsche Erfindung ein wesentlich vielseitigeres Instrument mit ganz neuen Ausdrucksmöglichkeiten geworden und ermöglicht außerdem noch die beiden in letzter Zeit so stark entwickelten Musikarten der Rundfunkübertragung und der Plattenwiedergabe.

 

Es ist daher in der Tat recht wohl möglich, daß die seit Jahren so sehr notleidende deutsche Klavierindustrie durch diese Fortschritte einen neuen Auftrieb erhält und das Publikum sich dem derartig modernisierten Instrument wieder in stärkerem Maße zuwendet. In jedem Falle haben die Vorführungen des Nernstflügels sowohl in natura wie auch über verschiedene deutsche Sender den Beweis erbracht, daß es sich hier um eine wirklich hochwertige musikalische Leistung handelt. Immer wahrscheinlicher wird es dabei überhaupt, daß der Instrumentenbau durch die Errungenschaften der Rundfunktechnik eine neue Befruchtung erfahren hat und mit elektrischen Mitteln den Weg zu ganz neuen klanglichen Effekten sucht. Mit dem Nernstflügel hat der Klavierbau, der seit 100 Jahren stagnierte, diesen Weg bereits beschritten. Vielleicht werden ihm andere Instrumente in sehr absehbarer Zeit folgen.
 


Bilder 2 und 3 in voller Grösse siehe Anlagen.

GR

Anlagen:

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