Kondensator-Mikrofon Neumann M49 (M50) - Teil 1

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Kondensator-Mikrofon Neumann M49 (M50) - Teil 1 
29.Jun.14 11:47
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Achim Dassow (CH)
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Hallo Miteinander,

Bei der Durchsicht der "Wireless World" Februar 1953 habe ich eine ausführliche Beschreibung der Neumann-Mikrofone M49 (und M50) gefunden und möchte diese in übersetzter Form Allen zugänglich machen.
Bei der Übersetzung stellten sich teilweise Unterschiede in der Namensgebung, speziell betreffend der Charakteristika heraus, diese habe ich mit Anmerkungen zur deutschen Namensgebung versehen.

Neue hochwertige Kondensator-Mikrofone

Teil 1: Erkenntnisse, die zum Design der neuen Neumann Typen führten

Von F.W.O. Bauch, übersetzt ins Deutsche durch Achim Dassow

Ein wesentlicher Teil aller konventionellen Mikrofone ist das Diaphragma, welches durch die periodisch wirkenden Kräfte im Umfeld einer Schallquelle zum Schwingen gebracht wird.
Die Umwandlung der Diaphragma-Bewegungen in elektrische Energie kann durch verschiedene Prinzipien bewerkstelligt werden, die wichtigsten, in Bezug auf die modernen Rundfunk- und Studiotechniken, sind das elektromagnetische und das kapazitive Prinzip.
Das Tauchspulen-Mikrofon, welches hauptsächlich für Sprache oder Aussenberichtserstattung verwendet wird, ist als Druckmikrofon konstruiert, d.h. es reagiert auf periodische Druckveränderungen, ausgelöst durch eine Schallquelle.
Schalldruck entsteht durch eine skalare Amplitude, deswegen haben Druckmikrofone eine ungerichtete Empfindlichkeit, entsprechend einer sphärischen Charakteristik mit gleichbleibender Ausgangsspannung.
Diese Charakteristik kann im Querschnitt in Form eines Kreises mit dem vertikal im Zentrum angeordneten Diaphragma beschrieben werden.
Bändchen- und Kondensatormikrofone können so hergestellt werden, dass sie dasselbe Polardiagramm aufweisen, aber häufiger werden diese mit gerichteter Charakteristik versehen, entweder in Form einer liegenden 8 (Anm: Achtercharakteristik) oder mit einem Cardiodid- (herzförmigen) Polardiagramm (Anm: Nierencharakteristik).
Bändchenmikrofone dieser Charakteristik sind weit verbreitet in diesem Land (Anm.:GB) und man kann annehmen, dass ihr Verhalten in Bezug auf Schalldruck und/oder Schalldruck-Gradient (auch Differenzschalldruck genannt) wohlbekannt sind.
Im Gegensatz dazu dürfte weniger bekannt sein, wie Cardiodid-Charakteristika mit Kondensatormikrofonen erreicht werden können.
Prinzipiell besteht ein Kondensatormikrofon aus einer mehr oder weniger stark vorgespannten Metallfolie (Diaphragma) auf der Vorderseite einer elektrisch isolierten, flachen Metallelektrode, so dass der Aufbau einen Kondensator bildet.
Eine polarisierende Spannung, zugeführt über einen hochohmigen Widerstand vervollständigt das System.
Die durch die Bewegung am Diaphragma hervorgerufene Kapazitätsänderung erzeugt eine Wechselspannung über dem (Last-)Widerstand.
Bereits 1935 beschrieben v. Braunmühl und Weber [1] Methoden, um aus einem einfachen Schalldruckwandler einen Differenzschalldruckwandler zu machen, d.h. ein Kondensatormikrofon mit Richtcharakteristik zu erzeugen.

Das Braunmühl und Weber Prinzip - Die normalerweise durchgehende feste Elektrode, welche die Anregung des Diaphragmas aus der Schallabgewandten Seite verhindert, wird dabei durch eine ähnliche perforierte Elektrode mit kleinen runden Löchern ersetzt Abb. 1.
Beide Seiten des Diaphragmas sind nun dem Schallfeld ausgesetzt, die treibende Kraft ist anstatt Einseitig nunmehr die Differnz des Schalldrucks zwischen der Vorder- und der Rückseite des Diaphragmas.
Dementsprechend ist nun die Maximalempfindlichkeit senkrecht zu den beiden Flächen des Diaphragmas ausgerichtet, während sie zur Seite hin mit dem Cosinus des davon abweichenden Winkels abnimmt.
Die mathematische Beziehung ist: , wobei e0 die Maximalempfindlichkeit und alpha die Winkelabweichung sind.
Die Stärke des effektiven Druckgradienten hängt von der Schallfrequenz und ausserdem von der physikalischen Grösse des Schallwandlers, entsprechend dem Abstand vom Zentrum der Diaphragma-Vorderseite zum Zentrum der Diaphragma-Rückseite via der Aussenkante der Mikrofonkapsel ab.


Zudem besteht die Möglichkeit die Symmetrie zu perfektionieren, indem man eine zweite, genau gleich perforierte Elektrode auf die bisher unbesetzte Seite des Diaphragmas montiert, diese muss kein elektrisches Potenzial führen.
Wenn aber doch, dann sollte sie wie in Abb. 2 dargestellt in einer Push-Pull Anordnung angeschlossen werden, um so eine einseitige elektrostatische Anregung zu vermeiden und gleichzeitig die Empfindlichkeit zu verdoppeln.
Kardiodid-Charakteristik - Bereits bekannt war, wie man zwei Mikrofone, eines mit Kugelcharakteristik und ein weiteres mit 8-förmiger Charakteristik so kombiniert, dass man daraus eines mit Kardiodid-Charakteristik (Anm: Nierencharakteristik) erhält. [2]


Solche Kombinationen werden in modernen Mikrofonen vom Bändchen-Typ eingesetzt, dabei arbeitet eine Hälfte als Druckdifferenzwandler und die andere Hälfte als einfacher Schalldruckwandler.


Abb.3 zeigt die Konstruktion eines Kardiodid Schallwandlers durch Kombination eines Kreisförmigen und eines 8-förmigen Polardiagramms, dabei muss das Kreisdiagramm exakt die Aussenkante des 8-förmigen Diagramms umhüllen.
Die einfache Addition bzw. Subtraktion aller Vektoren unter Berücksichtigung ihrer Ausrichtungen ergibt den idealen Kardiodid mit dem mathematischen Ausdruck:
Die Kardiodid-Charakteristik kann beim Kondensator-Mikrofon durch Anordnung zweier gleicher Diaphragmen beidseits einer perforierten Mittelelektrode erreicht werden, wobei diese Elektrode zusätzlich mit Sacklöchern auf beiden Seiten versehen ist (Abb.4).

 

Die Beweglichkeit der beiden Diaphragmen ist so, dass ihre anfängliche Steifigkeit im Vergleich zu anderen Widerständen nicht berücksichtigt werden muss.
Die grosse Steifigkeit der zwischen den Diaphragmen befindlichen Luft kann als sehr enge Kopplung zwischen ihnen verstanden werden, wobei ein Diaphragma elektrisch inaktiv ist.

Die mechanische Arbeitsweise unter Schalleinfluss kann wie folgt erklärt werden: Der Schalldruck ist eine Kraft, welche die beiden Diaphragmen gegeneinander gegen den Widerstand der zwischen ihnen eingeschlossenen Luft zusammendrücken will.
Gleichzeitig will der Differnzschalldruck die beiden Diaphragmen parallel zueinander hin und her bewegen, wobei die Luft durch die Kanäle der Elektrode gedrückt werden muss.
Die resultierenden Bewegungen sind in den vereinfachten Abbildungen 5 zu sehen, wobei a) der Schall von links kommt. Die Kräfte addieren sich dabei auf der linken Seite, die elektrisch aktiv ist, während sie sich auf der rechten, inaktiven Seite aufheben.
Abb.5 b) zeigt die seitliche Ausrichtung, bei der nur der Schalldruck allein wirksam ist. Abb.5 c) zeigt die Einwirkung des Schalls auf der elektrisch inaktiven Seite, während die Kräfte sich auf der elektrisch aktiven Seite nun aufheben.
Es muss hervorgehoben werden, dass die vorgehende Beschreibung stark vereinfacht ist, um die Funktion möglichst klar beschreiben zu können. Abb.6 zeigt eine modernere Version der Braunmühl-Weber Kardiodid Kapsel, Typ M7.

Jüngste Entwicklungen - Mikrofone sind das erste Glied in einer Kette zur Verbreitung von Schallsignalen. Jede Einschränkung an diesem ersten Glied kann nur schwer an späteren Gliedern kompensiert werden.
Daher muss der Tontechniker Mikrofone zur Verfügung haben, welche in der Lage sind ein realisisches Klangbild wiederzugeben und mit den Herausforderungen komplexer musikalischer Darbietung standhalten können.
Moderne Mikrofone müssen ausserdem hohe Ansprüche betreffend Frequenzgang, Linearität und Fremdspannungsabstand erfüllen, wobei deren Typenvielfalt möglichst gering gehalten werden soll.
Zwanzig Jahre fortgesetzter Erfahrung mit Kondensatormikrofonen im deutschen Rundfunk und die Anwendung moderner technischer Ideen führten zur Entwicklung zweier neuer Mikrofontypen mit einer Reihe interessanter Eigenschaften.[3]
Der Bedarf für eine Auswahl gerichteter Mikrofone konnte mit der Kreation einer einzigen neuen Druckgradienten Mikrofontype mit einstellbarer Charakteristik erfüllt werden.
Dieses Mikrofon (Neumann Typ M49) gibt die Möglichkeit, jederzeit und durch Fernsteuerung die Richtcharakteristik zu verändern, wobei es seinen extrem flachen Frequenzgang über alle drei Richtcharakter beibehält.
Jeder Teil einer konzertanten musikalischen Darbietung kann so gezielt mit objektiver Wiedergabetreue ausgewählt werden und das Ergebnis ist ebenso zufriedenstellend bei nur geringem Abstand zur Schallquelle, wenn der flache Frequenzgang von besonderer Bedeutung ist.
Grosse philharmonische Orchester und andere weit gefächerte Schallquellen zwingen ein einzelnes Mikrofon auf eine viel grössere Distanz zur Schallquelle. Dabei erzeugen Druckgradienten Mikrofone keine wirklich überzeugende Wiedergabe, die eher hohl klingt.
Gute Ergebnisse erzielt man andererseits mit ungerichteten Mikrofonen, die mit zunehmender Frequenz immer gerichteter wirken und dabei immer empfindlicher gegenüber frontalen Schallquellen werden. Aber der Richtungseffekt sollte nicht überbetont und für alle Frequenzen möglichst gleich sein.
Diese Überlegungen führten zur Entwicklung eines Druckmikrofons (Neumann Typ M50) mit graduell ansteigendem Frequenzgang (+5dB bei 15 kHz), gleichzeitig zunehmender Richtwirkung, aber einer immer noch sehr weiten Charakteristik bei höchsten Frequenzen.
Diese Mikrofone M49 und M50, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Akustiklabor des Nordwestdeutschen Rundfunks scheinen alle Anforderungen im Rundfunk zu erfüllen, wobei die Anzahl erforderlicher Typen auf nur zwei begrenzt werden konnte.

Einstellbare Richtcharakteristik - Das Prinzip des Neumann Typ M49 Mikrofon (Abb.7) ist eine Kombination zweier gleicher Kardiodid-Kondensatorsysteme mit in der Richtung entgegengesetzten Maximalempfindlichkeiten.
Abb. 8 zeigt eine vereinfachte Darstellung der Konstruktion. Beide Systeme speisen einen gemeinsamen, einstufigen Verstärker. Das vordere System wird von einer konstanten Spannung versorgt, während das hintere System seine Versorgungsspannung über ein Potentiometer erhält, dessen Stellung über die Richtcharakteristik entscheidet.

Abb. 9 zeigt die Schaltung mit dem Poti in Mittelstellung, eine Kardiodid Charakteristik zeigend. Während der Potischleifer nach rechts bewegt wird, ändert sich die Charakteristik übergangslos in Richtung 8-förmig bei umgekehrter Spannungslage. Gewöhnlich befindet sich das Potentiometer in der Stromversorgung, welche später noch beschrieben wird.
Abb. 10 zeigt Polardiagramme der drei grungsätzlichen Charakteristika bei ausgewählten Frequenzen.
Abb. 11 zeigt den Einfluss von Potentiometer-Zwischenstellungen auf die Charakteristik. Der Frequenzgang der drei Grundcharakteristiken ist in 12_Abb. 12 aufgeführt.
Andere relevante elektrische Eigenschaften: Frequenzgang, 40Hz-15kHz; Ausgangsimpedanz, 200 Ohm; Empfindlichkeit, ca. 0.7mV/ubar (dyne/cm2); Rauschen, <2uV (<22phon).
Wie in 13_Abb. 13 zu sehen, ist die Mikrofonkapsel elastisch auf der Oberseite der Perspex- (Anm: Plexiglas) Abdeckung montiert, unterhalb derer sich alle Teile des einstufigen Verstärkers befinden. Abdeckung, Verstärker und Grundplatte können für Servicezwecke leicht demontiert werden.
Die relativ geringe Kondensatorkapazität macht einen kompakten Aufbau mit kurzen Verbindungen erforderlich. Der Verstärker hat eine extrem hohe Eingangsimpedanz (150Megohm), damit die Kondensator-Wechselspannung unabhängig von der Frequenz unbelastet das Gitter der Verstärkerröhre ansteuern kann. Dies gilt ebenso im Interesse eines möglichst geringen equivalenten Rauschpegels.
Das Eingangsrauschen, welches den kleinsten nutzbaren Eingangspegel bestimmt, sollte 1 bis 1.5Mikrovolt nicht überschreiten. Für diesen Zweck wurde eine Spezialröhre, die MSC2 entwickelt. Diese Röhre hat hat eine direkt beheizte, oxydbeschichtete Kathode und wird direkt in die Schaltung eingelötet.


Abb. 14 zeigt zwei der Teile der M49 Mikrofonkapsel, links eines der nur 8 um dicken PVC-Diaphragmen mit nur 0.3 um starker, im Plasma metallisch beschichteter Oberfläche, rechts die teilweise perforierte Mittelelektrode.
Wenn die Diaphragmen beidseitig montiert sind, erreicht der effektive Durchmesser 28mm.
Die Diaphragmen bewegen sich ringförmig um den im Zentrum angeordneten Isolator, der gleichzeitig die Schrauben zur Kontaktierung der Diaphragmen trägt.(s. auch Abb. 8 und 13)
Die Distanz zwischen Diaphragma und der Mittelelektrode beträgt nur 40 um. Die mechanische Vorspannung der Diaphragmen ist so, dass sie unter der maximal polarisierenden Spannung gerade noch nicht die Mittelelektrode berühren. Die Steifheit der Diaphragmen ist 60 mal geringer als die der dahinter befindlichen Luft und deren Eigenresonanz liegt tief - zwischen 600Hz und 800Hz.
Die Veränderung der Systemkapazität unter Einfluss der maximalen Polarisationsspannung beträgt 3pF bis 4 pF, welches ein bedeutender Faktor für das Verhalten bei niedrigen Frequenzen bedeutet. Die erzeugte Spannung pro Diaphragma beträgt etwa 1.4mV/ubar.
Von höchster Bedeutung ist die Verwendung hochqualitativer Isolationsmaterialien für alle kritischen Bauteile innerhalb von Mikrofon und Verstärker. Dies wiederum stellt hohe Anforderungen an die Sauberkeit des Produktionsprozesses und die Verwendung von Reinigungsmitteln.
(Dieser Artikel wird fortgesetzt. Teil 2 wird eine Beschreibung des Neumann Typ M50 Schalldruckwandler und einiger Zubehörteile beinhalten)

[1] v. Braunmühl und Weber, Hf-Technik u. Elektroakustik Vol. 46 (1935) pp. 187-192
[2] Weinberger, Olson and Massa; Journ. Acous. Soc. Amer., Vol. 5, p. 139
[3] H. Grosskopf, FTZ 9/1951; p. 398; Techn. Hausmitt. des NWDR, Vol. 3 (1951), p.172

Anmerkung: im zweiten Teil meiner Beitragsreihe wird der zweite Teil des Artikels aus der Wireless World, erschienen im März 1953 folgen, sobald die eingescannten Texte aufgearbeitet sind.

Gruss
Achim

Anlagen:

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.