nora: W220L; Rienzi 2: Neuaufbau eines "Schrotthaufens"

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ID: 257675
Dieser Artikel betrifft das Modell: Rienzi W220L Holzgehäuse (Nora, Aron, Heliowatt; Berlin)

nora: W220L; Rienzi 2: Neuaufbau eines "Schrotthaufens" 
28.Jun.11 17:29
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Laut Vorbesitzer sollte das Radio "absolut unverbastelt" sein. Es war auch vorn nicht häßlich - bloß drehn Sie es nicht rum - da hat's so'n kleenen Widewitt, so'n Widewitt-Bumbum (frei nach Otto Reutter).

Kurzum, es war praktisch nichts mehr original, und wie sich später herausstellte, waren einige noch originalen Teile nicht mehr zu gebrauchen. Also real betrachtet ein Schrotthaufen.

In der "Lichtenrader Eintracht", einem Freundeskreis ehemaliger Telefunken-Ingenieure wurde deshalb beschlossen, "erst mal zerlegen" und die (wenigen) originalen Teile analysieren.

Original waren noch die beiden Spulentöpfe. Und die bargen einige Überraschungen. Hierin befanden sich Spulen (für Langwelle) mit Kernen aus Ferrocart.

Hier sieht man links die LW Spule und rechts die MW Spule des 1. Kreises. Die runden Ferro-Stempel können mit Hilfe eines Schraubengewindes den Kernen angenähert werden und so die Induktivität der Spule erhöhen. Wie zu erkennen ist, wurde beim LW-Abgleich (bereits früher schon) zu heftig hineingederht, weil der richtige Wert für die Induktivität nicht mehr erreichbar war, so daß der Ferro-Stempel zu Bruch ging. Nach dem Lösen der Schrauben zeigte sich dann der Grund: der Ferrocart-Kern der LW-Spule war zerbröselt.

Aber auch die LW-Spule im 2. Filter war kaum besser erhalten.

Die MW-Spulen waren auf H-Kerne gewickelt. Im nächsten Bild ist bereits der Draht abgewickelt.

Der Erhaltungszustand der MW Spule war zwar besser, jedoch wurde auch diese ersetzt. Als Ersatz wurden AM ZF-Spulen von HFW gewählt, die nach der Wende preiswert zu haben waren.

Diese wurden für die Kreise für LW & MW berechnet und gewickelt.

Zur Befestigung waren nun noch Halterungen erforderlich.

Damit konnten die neuen Spulen eingebaut werden.

Die "Quetsch" Kondensatoren sind noch original.

Ein Problem stellte der NF-Übertrager dar, der keinen Durchgang mehr hatte.

Die Spule ließ sich nicht abwickeln, da die Windungen teilweise verklebt waren. Also blieb nur die "brutale Methode" übrig.

Da Windungszahlen und Drahtsärke vermerkt waren (und mit Hilfe eines Vergleichs-Gerätes) das Übersetzungsverhältnis ermittelt werden konnte, war es möglich, den Übertrager frisch zu wickeln.

Der frisch gewickelte Übertrager wieder montiert.

Im nächsten Bild ist das wieder aufgebaute Chassis von hinten zu sehen. Der Netztrafo ist auch nicht original. Die Oberseite des Chassis ist frisch gestrichen, da es doch sehr rostig war.

Ein Blick von vorne auf das Chassis zeigt das nächste Bild.

Ein Blick unter das Chassis verrät, daß außer dem Drehko und dem Wellenschalter praktisch nichts mehr verwendet werden konnte. Beim Drehko war zudem eine der bronzenen Spiralfedern, die den Kontakt zum Rotor herstellen, gebrochen, was sich bei eingedrehtem Kondensator bemerkbar machte, weshalb da kein Gleichlauf mehr möglich war. Beim Wellenschalter war eine aufwändige Justierung erforderlich.

Ein Detailbild zeigt die Schirmbleche für die Reflex-Stufe und die AB1, welche auch erneuert wurden.

Insgesamt war es eine ziemlich aufwändige Arbeit:

Zerlegung der Spulen zur Bestimmung der Windungszahlen und Messung der Kapazitäten des Drehkos

Berechnung der neuen Spulen für MW und LW

Untersuchung der RFT-Bandfilter zur eventuellen Verwendung. Anfertigung von Spulen zur Bestimmung der Güte und der maximal möglichen Induktivität.

Anfertigung von gefrästen Spulenhaltern aus Hartpapier

Teilung der Bandfilterspulen und Anbringung eines M3-Gewindes im Spulenhalterfuß für einen Wickeldorn

Anfertigung der Spulen für LW und MW mit abweichendem Übersetzungsverhältnis gegenüber den Originalspulen. Änderung der Hartpapierplatten in den Spulentöpfen zur Unterbringung der neuen Spulen. Verdrahtung der Spulen in den Töpfen.

Einbau von 2 neuen Keramik-Röhrenfassungen für RENS1284 und AB1. Die alten aus Kunststoff waren angeschmolzen und an den Kontakten vergammelt.

Untersuchung des Wellenschalters. Der Wellenschalter im Schrottgerät hat einen – scheinbar nachträglich eingebauten – weiteren Kontakt und die Kodierung weicht vom Vergleichsgerät ab. Zerlegung des Wellenschalters und Änderung der Kodierung. Reinigung der Kontakte.

Untersuchung des Netztransformators. Entfernung der Lötleisten und Fußwinkel. Anfertigung neuer Fußwinkel und neuer Lötleisten auf M4-Gewindebolzen (früher M3,5). Messung der Trafowerte Leerlaufstromaufnahme und Ausgangsspannungen.

Verdrahtung des Trafos zur Heizung der RENS1284 und Verdrahtung der Spulentöpfe und des Wellenschalters. Dazu Einbau von vorher angefertigten Schirmblechen ähnlich wie im Mustergerät. Betrieb ohne AB1. Messung der RF an der Fassung der AB1. Abgleich der neuen RF-Spulen.

Untersuchung des NF-Spartrafos vor dem Einbau. Die Wicklung zwischen Abgriff und Ausgang zur Endröhre hat keinen Durchgang. Der Versuch, den Trafo abzuwickeln, schlagen fehl, weil durch die Verklebung der Windungen mit den früher verwendeten Klebebändern zum Fixieren der Anschlüsse der Draht 0,07 CuL immer wieder reißt. Messung des Übersetzungsverhältnisses am Mustergerät mit Tongenerator und Oszillograf (ü = 4:1). Entfernung der alten Wicklung durch Aufschneiden und Aufbringen der neuen Wicklung mit gesamt 27000 Windungen 0,07 CuL.

Einbau des NF-Spartrafos und Komplett-Verkabelung aller Röhren und Netztrafo

Reparatur eines Skalenlampenhalters. Das E10-Gewinde hatte gefehlt.

Anfertigung von Gummipuffern für die Montage des Lautspechers.
Erste Abgleich- und Empfangsversuche schlagen fehl. Der Eingangskreis LW und MW lässt sich nicht abstimmen. Die Messung mit dem Vectorimpedancemeter ergibt, dass der Resonanzkreis nicht funktioniert. Der Grund ist ein abgerissenes Metallband vom Rotor des Drehkos nach Masse. Nach dem Anlöten kann der Empfänger abgestimmt werden und kann auch auf MW und LW etwas empfangen.

Die Empfangsleistung ist anfangs schlecht und die Lautstärkeeinstellung unbrauchbar. Der Grund bei der Lautstärkeeinstellung ist das Potentiometer 50kOhm log. (Abstimmung im Bereich der größten Widerstandsänderung). Durch Austausch gegen ein Potentiometer 10kOhm linear ist der Mangen beseitigt. Die Empfangsleistung konnte vielleicht etwas verbessert werden durch Kabeltausch. Das Potentiometer ist über lange Kabel mit dem Schwingkreis und dem Antennenanschluß verbunden. Diese Leitungen sind im Mustergerät als Leitungen mit einem großen Abstand zwischen Innenleiter und Abschirmung ausgeführt. Im Schrottgerät wurde für die Verkabelung abgeschirmtes Kabel für NF verwendet. Das hat, wie sich gezeigt hat, eine große Kapazität. Gemessen wurden ca. 380pF/m. Die langen Kabel wurden durch 75 Ohm-Antennenkabel ersetzt. Dieses hat ca. 65pF/m.

Nach dem Abgleich kann man auf LW den Zehlendorfer Sender auf 180 kHz hören. Auf MW ist bei ca. 700kHz schwach das russische Programm, der DRM-Sender 855 kHz und Deutschlandradio Kultur 990kHz zu empfangen. Bei Dunkelheit kommen noch einige Sender am oberen Ende der MW dazu.

Die Demodulation ist stark verbrummt und verzerrt. Besser ist der Empfang bei Verwendung einer Diode OA180 an Stelle der AB1.

Ob es sich "gelohnt" hat, steht auf einem anderen Blatt. Die Empfangsleistung des Gerätes kann leider nur mit "bescheiden" bezeichnet werden. 

MfG DR

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.

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Ferrocart-Schwingkreise bei weiterem Rienzi 
25.Aug.11 13:22
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

Bei einem zweiten, besser erhaltenen Rienzi ergab sich nach der üblichen Kondensator-Kur, daß für minimal hörbare Lautstärke (subjektiv!) ca. 20 mV Eingangsspannung auf MW notwendig waren.
(0,5Vss am Gitter der RES 964)

Dagegen schaffte es der in Post 1 beschriebene Rienzi mit seinen erneuerten Filtern auf eine minimale Eingangsspannung von ca. 80 µV bei gleicher Lautstärke wie beim 2. Gerät.

Das 2. Gerät mit seinen (originalen) Ferrocart Kreisen (für MW) ist somit ca. 250 mal unempfindlicher als das Gerät mit den ersetzten Kreisen.

Das war ein Grund, auch hier die Ferrocart-Spulen zu ersetzen.

Eigentlich braucht man sich nicht über die geringe Empfindlichkeit des Empfängers zu wundern, wenn man die völlig verrotteten Ferrocart-Spulen betrachtet.

MfG DR

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