Philips 22RR70 - Echternacher Springprozession
Philips 22RR70 - Echternacher Springprozession
Was ist das denn wieder: eine Springprozession? – Nun, wikipedia erläutert es dem Unwissenden gern:
Der Begriff „Echternacher Springprozession“ wird im Sinne der Form des „drei Schritte vor, zwei zurück“ für besonders mühsame Prozesse verwendet, bei denen viele Rückschritte zu verzeichnen sind.
Die drei Schritte vor, zwei zurück, sie verfolgen mich bei diesem Radio unentwegt. Wird diese Springtechnik schliesslich einmal zum Erfolg führen?
Das Radio funktioniert nicht. Doch nein, sagt der Vorbesitzer, im Hintergrund gibt es ganz leise Ton. Ein Elektrolyt zwischen Demodulator und Vorverstärker? Ein schlechter Kontakt im Tastenaggregat? – Freudig demontiert der Meister das Radio. Es fällt ein kleiner Gegenstand heraus. Hier unten ist er abgebildet.
Aha! ganz meisterhaft die Vermutung: der Fehler ist gefunden. Die Gabel am Ende des Tastenhalses ist auf einer Seite abgebrochen. Dazwischen steckt der sonderbare Teil, und er zieht und stösst den kleinen Schieber der Mikrofontaste. Man muss den Schieber nur in die richtige Position bringen und ihn dort halten.
Es hebt an das 2K-Leimfest. Bald ist die Tasten-Gabel wieder funktionsfähig. Das Radio läuft. – Es läuft sogar zu gut, bald ist es überlaut und schliesslich fällt der Ton weg. – Sofort ausschalten heisst es da. Die Prüfung ergibt erstaunlich Spannungen aus dem Netzteil. Es stellt sich heraus, dass die Zenerdiode durchgeschmort ist, und der dazugehörige Transistor nichts mehr regelt, sondern die viel zu hohe Spannung aus dem Transformator einfach in die Schaltung schickt.
Nach Ersatz der Zener-Diode läuft alles korrekt? – Röhrengeräte brauchen ihre Zeit, bis der Ton kommt. Dieses Radio braucht noch viel mehr Zeit als ein Röhrengerät. Wenn man nach zehn oder zwanzig Minuten endlich Ton hat, dann reduziert der sich, sobald man von UKW auf AM umschaltet. Das Spiel geht von neuem an.
Der Vorbesitzer hat zwei Elkos ersetzt, einen sogar verkehrt herum. Man kontrolliert und dreht um. Keine Verbesserung. Es klingt wie ein Kondensator-Problem, aber es ist wie verhext. Aus Stromversorgung und Endverstärker habe ich schliesslich alle Elektrolyten entlassen und ersetzt. Das Radio wird immer etwas zuverlässiger, scheint es; aber am Ende verhält es sich doch wie ein überaus langsam warmwerdendes Röhrenradio.
Im ZF-Teil gibt es lockfit Transistoren. Die sollen manchmal spinnen. Kältespray lässt den AM-Oszillator entgleisen, ich werfe ihn hinaus, und nachher die weiteren ZF-Transistoren. Jetzt läuft alles ausgezeichnet.
Es liefe ausgezeichnet, käme nicht der nächste Morgen, wo wir wieder nur schwer auf Trab kommen können. – Wie es kommt, kann ich eigentlich nicht sagen. Stromversorgung, Endverstärker, ZF-Teil – ich schaue sie mir alle genau an. Aber der Teil der Platine, der vom Kassettenteil verdeckt wird, den beschaue ich nicht: er wird sich wohl um den Tonbandteil handeln.
Ausserdem, das muss ich zugeben, sind die wirklich winzigen Elektrolyten von oft nur Teilen eines uF nur unter gymnastischen Verrenkungen zu erreichen. Nach ein paar Tagen habe ich soweit Mut gefasst, dass ich sie einen nach dem andern entferne, jeden, der nach dem Schaltplan auch nur irgendwie im Pfad des Vorverstärkers liegen kann. Zur grossen Freude des Radioreparateurs wird des etwas dünne Klang bei jeden neuen 1uF-Kondensator sauberer und fester. Es ist jetzt schon ein ziemlich ‚schnelles‘ Röhrengerät geworden, wenn man es einschaltet. – Was kann ich noch erreichen? Die hier an der Seite – C212, C214 – sind auch noch möglich… Ja, das Radio wird tatsächlich schneller.
Jetzt wären nur noch ein paar kleine Elektrolyten übrig, an die ich wirklich nicht herankommen kann. Der Ton ist satt, das Radio spielt nach etwa einer Zehntel-Sekunde. Der Empfang ist gut. Wir wollen es zufrieden sein. – Auch die längste Echternacher Springprozession erreicht schliesslich ihr Ziel, wie dieser Bericht beweist.
Wisst Ihr übrigens, wie man auf diesen Filigran-Platinen die Kondensator-Winzlinge ganz schonend entlötet? Man nimmt ein Bambus-Spiesschen aus der Küche. Man kann es nach Bedarf zuschneiden, die Spitze etwas abflachen, und wenn das Lot heiss ist, den Draht stetig aus der Platine hinausdrücken. Nur nicht verkanten, schon ist das Opfer draussen…
Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.