Radio hören 1924
Radio hören 1924
In der Zeitschrift FUNK, Heft 02 aus 1924 fand ich einen Artikel, der einiges zur Entwicklung des Rundfunks und der Hörgewohnheiten - gerade zwei Monate nach Inbetriebnahme des Leipziger Senders - aussagt. Hier ein Ausschnitt aus der Sicht eines Reporters ohne "Funk-Ahnung" als Kopie:
Leipzig, 3. Mai 1924
........ Besonders stolz ist Leipzig, daß es jetzt weithin hörbar geworden ist; die Leipziger Zeitungen veröffentlichten dieser Tage eine ganze Reihe von Zuschriften an die Mitteldeutsche Rundfunk A. G., begeisterte Briefe entfernter „Hörer", die die erstaunliche Reichweite des Leipziger Senders bewiesen: er wurde nicht nur fast überall in Deutschland, wie in Braunschweig, Lüneburg, Bünde i. W., Oldenburg, Aurich, Marienburg, Königsberg in Ostpr., Stuhm in Westpr., Neiße in Schlesien, Rosenheim in Oberbayern gehört, sondern sogar aus Udine in Italien, aus Wasa in Finnland und von einem in der Nähe von Narvik in Norwegen in Fahrt befindlichen deutschen Schiff lagen Mitteilungen vor, daß die Leipziger Darbietungen bestens gehört worden seien. .......
....... Immerhin merkt man jetzt allmählich an der langsam größer werdenden Zahl der Rundfunkhörer, daß der Rundfunk jetzt zur „Unterhaltung des armen Mannes" wird. Dazu tragen vor allen Dingen die Erleichterungen der Reichspost in der Gebührenzahlung für Empfangsanlagen und die fortschreitende Verbilligung des Empfangsgeräts überhaupt bei. Es ist jetzt schon möglich, für wenige Mark das Material zu einem Empfangsapparat zu beschaffen und sich den Apparat unter Anleitung einer der zahlreichen Anleitungen zusammenzustellen. Ein fertiger, nach den Reichspostbestimmungen geeichter Apparat ist auch nicht viel teurer und bietet die sichere Gewähr für einen guten Empfang.
Der Hörerkreis vergrößert sich täglich. Vielleicht vor allem deshalb, weil sich die Anlage des Leipziger Senders jetzt bewährt hat und gute Erfahrungen anderer auch die Zögernden zur Beschaffung eines Empfangsgeräts anreizen. Man rechnet damit, daß in Kürze die Zahl der in der Oberpostdirektion Leipzig gemeldeten Hörer, die noch lange nicht die gesamte Hörerschaft des Leipziger Senders darstellen, auf etwa 2000 steigen wird und man muß dabei in Rechnung stellen, daß namentlich in den großen Städten allenthalben in den Kaffeehäusern der Rundfunk als Teil des Konzertprogrammes gilt.
Lautsprecher sind hier nur wenig beliebt. Hinter jedem Tisch befinden sich die Steckkontakte für die Kopfhörer an der Wand und es ist zunächst ein ungewohntes Bild, wenn in einem solchen Kaffee tiefes Schweigen herrscht und Schlagsahne schleckende junge Damen ganz in sich versunken in den Polsterbänken der Nischen lehnen. Erst bei näherem Hinsehen bemerkt man dann, daß sie durch einen Kopfhörer mit Unterhaltung versorgt werden, ohne daß die Stille der Gaststätte gestört wird, was auch ein Vorteil ist.
Ich stelle mir - leicht amüsiert - vor, heute in ein Kaffeehaus zu gehen und ein solches Bild, wie im gelb markierten Text geschrieben, vorzufinden......
Wolfgang Eckardt
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