stassfurt: Regel-Kennlinien des Stassfurt 5W

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stassfurt: Regel-Kennlinien des Stassfurt 5W 
10.Feb.21 15:56
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Dietmar Rudolph † 6.1.22 (D)
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Dietmar Rudolph † 6.1.22

 

Die Aussage gemäß Prospekt

In den Radio-Katalogen von 1932/33 und z.T. auch 1933/34 wird der Stassfurt Imperial 5W/WL als Gerät mit "automatischer Fading- und Lautstärke-Regulierung" angeboten, z.B. von "Prohaska". Hier der Prospekt für den Imperial 5W aus "Illustrierter Radio-Katalog, Ausgabe 1932/1933".

Da zu dieser Zeit die Fading-Regulierung noch "ganz neu" und erst in wenigen Geräten implementiert war, stellt sich die Frage, wie wirkungsvoll und gut eine solche frühe AGC (automatic gain control) tatsächlich funktioniert hat.

Die AGC im Schaltbild

Das Schaltbild des 5W zeigt, daß die AGC in der HF Vorstufe und der 1. ZF Stufe eingegriffen hat (grüne Leitung).

  1. Die Lautstärke-Regelung, die über die Veränderung der Schirmgitterspannung (magenta Leitung) ebenfalls der beiden mit der AGC geregelten Stufen geht, läßt erahnen, daß sich beide Eingriffe gegenseitig beeinflussen werden.
  2. Das Gerät hat auch noch eine zusätzliche Lautstärke-Regelung mit Hilfe des variablen Antennen Verkürzungs-Drehkos (12 - 600 pF) an der Antennen-Buchse 1. (Im "Normalfall" muß dieser Drehko nur einmal passend zur Länge des Antennen-Drahtes eingestellt werden.)

    Im Schaltbild ist vor der Antennen-Buchse 2 ein Kondensator mit 20 pF ergänzt. Ohne Kondensator an dieser Buchse könnte die AGC Spannung kurz geschlossen werden, falls die Antenne ohmsche Verbindung zur Erde hat. (Das könnte auch passieren, wenn ein Umsetzer für den Empfang von KW angeschlossen wird. Eine Möglichkeit dafür ist beim Imperial 5W ab Werk vorhanden.)

Regel-Kennlinien

Die unter 1. geschilderte Abhängigkeit der AGC von der Stellung des 500 kΩ Potis der Lautstärke hat zur Folge, daß sich je nach Stellung dieses Potis unterschiedliche Regel-Kennlinien (auch: "Steuerkennlinien") ergeben. Genau genommen müßte man nach jeder kleinen Veränderung des Lautstärke-Potis eine extra Regel-Kennlinie aufnehmen.

  • Es gibt hier also keine einzelne (allgemein gültige) Regel-Kennlinie, sondern (im Grenzfall der inkrementellen Veränderung des Lautstärke-Potis) eine Regel-"Kennfläche".

In der Praxis wird man allerdings nur wenige (typische) Regel-Kennlinien aus dieser Regel-"Kennfläche" messen können. Dazwischen liegende Regel-Kennlinien kann man dann "interpolieren" - und ggf. nachmessen, falls allzu große Unterschiede festzustellen sind.

Gemessen wird bei ca. 550 kHz. Als Generator wird ein SMLR verwendet. Dieser ist mit 1 kHz und 30% Modulationsgrad moduliert. Über eine künstliche Antenne wird an "Erde" und "Antennen-Buchse 1" eingespeist. Der Verkürzungs-Dreko ist dabei auf ca. 50 pF eingestellt.

Die AGC-Spannung wird hinter dem 0,5 kΩ (500 Ω) Widerstand bei der Zuführung für die HF Vorstufe abgegriffen und mit einem Digital-Multimeter HP3465B gemessen. [Dieser 500 Ω Widerstand wird in einigen Schalplan-Sammlungen fälschlicher Weise mit 500 kΩ angegeben.]

Die NF-Spannung wird hinter dem Gitter-Kondensator 5000 pF (5nF) und vor dem 5 kΩ Schutz-Widerstand der Lautsprecher-Röhre RENS1374d mit Hilfe eines Oszilloskopes Hameg 312-8 gemessen. (Reste der ZF Spannung ergeben hier eine breite Sinus-Kurve.)

Die beiden gezeigten Regel-Kennlinien wurden bei den Stellungen "1/3" und "2/3" des Lautstärke-Potis aufgenommen.

 

In der Tendenz ist zu sehen, daß die Regel-Kennlinien (im mittleren Bereich) flacher werden mit "weiter aufgedrehtem" Lautstärke Poti, also bei größerer Spannung an den Schirmgittern von HF Vorstufe und 1. ZF Stufe.

  • Die Aussage im Inserat, daß der Staßfurt Imperial 5W eine "automatische Fading-Regulierung" hat, stimmt also schon.

Die Frage ist jedoch:
Wie "gut" ist (bzw. war) die AGC Regelung des Gerätes in der Empfangs-Praxis, z.B. auf MW?

Vergleicht man mit den AGC Regelkurven z.B. vom Siemens 47WL, einem Dreikreiser aus dem gleichen Zeitraum, so sieht man, daß der SH 47WL eine viel flachere AGC Regelkurve hat.

  • Ist eine "flachere" AGC Regelkurve im praktischen Empfangs-Betrieb nun auch "besser"?

Die Antwort lautet: Ja und Nein.
Denn sie hängt davon ab, ob "Orts-Sender" gehört wurden oder aber auch "Fern-Sender".

  • Orts-Sender sind diejenigen, die so nah beim Empfänger liegen, daß da nur die "Boden-Welle" beim Empfang eine Rolle spielen.

    Boden-Wellen unterliegen keinen Interferenzen, sind also diesbezüglich "stabil". Sie sind je nach Leistung des Senders stärker oder schwächer.
    Eine "flache" Regel-Kennlinie ist dann vorteilhaft, weil diese Sender dann i.w. gleich laut empfangen werden.
     
  • Fern-Sender sind diejenigen, deren Entfernung vom Empfänger so groß ist, daß da (zusätzlich zur Boden-Welle) auch bzw. ausschließlich nur die "Raum-Wellen" empfangen werden.

    Der Empfang über Boden-Welle und Raum-Wellen oder nur über Raum-Wellen ist durch starke bis sehr starke Interferenzen dieser Wellen gekennzeichnet. Diese werden mit "Fading" bezeichnet. Siehe auch Fading Regulierung ohne Dioden. (Beschrieben wurde Fading bereits um 1905.)
    Fading durch Boden-Welle und Raum-Wellen führt i.a. immer wieder zu (selektivem) "Träger-Schwund". Dadurch entsteht "Über-Modulation" mit entsprechenden starken Verzerrungen des demodulierten Signals.

    Bei den Verzerrungen durch "Über-Modulation" sind in der Tat Regel-Kennlinien wie vom Staßfurt Imperial 5W deshalb günstiger, weil bei der Abnahme des Empfangs-Signals in der Folge eines selektiven Träger-Schwundes, nun die demodulierte NF Lautstärke stark abnimmt - und dadurch die nichtlinearen Verzerrungen in Folge eines selektiven Trägerschwundes auch nur relativ leise hörbar werden. 

    Die Empfangs-Praxis (als es noch AM Sender gab) hat das bestätigt.
    * Der Empfang des DLF auf 756 kHz (Königslutter) hier in Berlin war entfernungsmäßig so, daß Boden-Welle und Raum-Wellen (bei Nacht) etwa gleich stark ankamen, was zu starkem slektivem Trägerschwund verbunden mit entsprechenden Verzerrungen führte. Beim Staßfurt Imperial 5W waren diese Störungen allerdings leiser als bei anderen Empfängern mit "flacherer" AGC Kennline.
    * Der Empfang des DLF auf 1422 kHz (Heusweiler) beruhte nur auf Raum-Wellen (auch tagsüber). Die Interferenzen bei reinem Raum-Wellen Empfang (Rice-Fading) sind geringer als bei Interferenzen mit Boden-Wellen (Rayleigh-Fading).

Alles in allem ist (war) der Staßfurt Imperial 5W ein sehr brauchbarer Empfänger, gerade auch für den Fern-Empfang.

Die AGC Spannung als Funktion der Amplitude des Empfangs-Signals

Die HF Stufe des Imperial 5W ist mit der RENS1264 bestückt. Das ist aber eine Tetrode, die eine "kurze" Kennlinie hat und (eigentlich) nicht für eine AGC Regelung vorgesehen ist. Dagegen ist die 1. ZF Stufe (ersatzweise) mit einer 4j1l (Penthode) bestückt, auch mit einer "kurzen" Kennlinie. (Die 6j1l ist bis auf die Heizspannung identisch mit der 4j1l.)

Wie aus diesen Kennlinien ersichtlich ist, sind diese ziemlich gleich, so daß der "Ersatz" der RENS1264 durch die 4j1l praktisch keine Änderung ergibt.

Entsprechend zu diesen kurzen Steuerkennlinien benötigt der Imperial 5W auch nur eine relativ kleine AGC Spannung um seine Verstärkung herunter zu regeln, hier dargestellt als Funktion der angelgten HF Spannung des SMLR. Parameter ist wieder die Stellung des Lautstärke-Potis.

 

Entsprechend wie oben schon angesprochen, sind auch diese beiden Kennlinien wiederum nur Beispiele aus einer entsprechenden "Kennlinien-Fläche".

Lautstärke-Poti und Antennen-Trimmer

Die NF Spannung ist wieder am Gitter 1 der Lautsprecher-Röhre gemessen und die AGC Spannung am 500 Ω Widerstand in der Gitter-Leitung zur HF Vorstufe. Der Antennen-Trimmer hat hierfür seinen minimalen Wert von 12 pF.

Zur genaueren Kenntnis müßte man nun noch die gemessene Kurve mit dem jeweiligen Drehwinkel des Bedienknopfes des Lautstärke-Potis beschriften. Da das nicht geschehen ist, gibt die gezeigte Kurve nur einen qualitativen Eindruck.

 

 

Für diese Messung ist der Lautstärke-Regler auf 1/4 seines Drehwinkels eingestellt.

Wie man hier sieht, ergibt eine Variation des Antennen-Trimmers (12 - 600 pF) mit Einspeisung über die "künstliche Antenne" (bei der gewählten Stellung des Lautstärke-Reglers) zwar wieder eine Änderung der Größe der NF Spannung an G1 der RENS1374d um 7V, jedoch führt das auf eine geringere Änderung der AGC Spannung.

 

Es ist klar, daß man zu einer vollständigen Beschreibung der Funktionsweise des Imperial 5W noch sehr viel mehr Meßkurven benötigen würde.

Allerdings ist (war) die praktische Bedienung des Radios keinesfalls so kompliziert, wie es aufgrund dieser Analyse erscheinen mag. Ist der Antennen-Trimmer an die vorhandene Antenne angepaßt, ist es "nur" erforderlich, während des Abstimm-Vorgangs den Lautstärke-Regler entsprechend "nach zu führen", damit man einerseits etwas hört und andererseits das Gerät nicht "brüllt". Hat man diese Einstellung gefunden, werden die Fadings "ausgeregelt", wie oben beschrieben.

 

Für diesen Post bedanken, weil hilfreich und/oder fachlich fundiert.