Ein Beitrag zur Geschichte der Stahlröhrenentwicklung
Die Abstimmung des Stahlröhrenprogrammes, Teil 1
Zur Entwicklung und Markteinführung der Stahlröhren wurde bereits in vielen zeitgenössischen Publikationen sowie im Schrifttum der Radiosammler berichtet. Die wesentlichsten Informationen über die Entwicklung der Stahlröhren finden sich in der zeitgenössischen Werkschrift „Die Telefunken-Röhre“. Bedeutende historische Beiträge erschienen in der „Funkgeschichte“ der GFGF. Im Zuge einer Recherche bin ich auf Archivmaterial gestoßen, das die im Vorfeld erfolgte Festlegung auf das Marktgebiet und den Einsatz dieser Röhrenserie zwischen Telefunken, Philips und Tungsram erhellt. Diese Dokumente werden im folgenden aufgearbeitet und für unsere Leser verständlich kommentiert.
Kurzer Überblick zu Marktentwicklung und Vertraggslage
Der europäische Röhrenmarkt war schon Jahre vor dem Erscheinen der Stahlröhren fest in den Händen der drei führenden Röhrenfirmen Philips, Telefunken und Tungsram.
Ausgehend von den Patentrechten auf Entwicklungen am Röhrensektor hatten Philips und Telefunken schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bilaterale Patentabkommen mit den großen amerikanischen Röhrenherstellern abgeschlossen, die auch einen gegenseitigen Marktschutz festlegten. Nach langen Verhandlungen über die Aufteilung des europäischen Marktes und einen Austausch der Patente, unterzeichneten Philips und Telefunken im November 1931 den sogenannten Wevag-Röhrenvertrag, der den Patentaustausch, Lieferquoten, und Maßnahmen zur Abwehr kleiner Röhrenproduzenten festlegte und somit den Beginn des europäischen Röhrenkartells darstellt. Tungsram konsolidierte mittels eigener Patente, seiner dominierenden Rolle am ungarischen Heimmarkt und der effizienten Bedienung der osteuropäischen Märkte seine Stellung bis 1933 soweit, dass vor allem Telefunken einen Ausgleich zum Schutz seines deutschen Heimmarktes suchte, und - in Abstimmung mit Philips – in Verhandlungen mit Tungsram zum Zwecke der Erweiterung des Röhrenkartells führte. Diese Verhandlungen konnten im Herbst 1934 mit dem sogenannten „Ardenner Vertrag“ zum Abschluss gebracht werden, in dem Tungsram als dritter Partner von Telefunken und Philips anerkannt wurde.
Im weiteren wurden alle Röhrenentwicklungen regelmäßig zwischen diesen drei Partnern abgesprochen. Auch die Einführung unterschiedlicher Röhren in unterschiedlichen Märkten wurden im Vorfeld geklärt. Auf Grund der relativ geringen Lieferquoten von Tungsram wurde die Marktstrategie hauptsächlich von Philips und Telefunken bestimmt. Tungsram blieb im wesentlichen die Rolle, die von den beiden anderen Partnern entwickelten Typen nachzubauen, und in Stückzahlen entsprechend der eigenen Lieferquote zu produzieren.
Protokoll zur Vorstellung des Metallröhrenprogramms
Zur geplanten Einführung der Stahlröhren in Deutschland gab es daher im März 1937 bei Telefunken in Berlin zwei Vorbesprechungen, eine Besprechung am 9.3.1937 zur detaillierten Abstimmung der Strategie und Einführung der Stahlröhren zwischen Philips und Telefunken und Osram, welche im Auftrag von Telefunken in Deutschland die Röhren fertigte. Am 10.3.1937 erfolgte dann eine zweite Besprechung zwischen Telefunken, Philips, Tungsram und Osram, in der die bereits vortags festgelegten Konzepte dem Partner Tungsram nahegebracht werden, um eine ungestörte Umsetzung zu ermöglichen.
Im Folgenden wird nun das Protokoll der ersten Besprechung am 9.3.1937 zusammengefasst [1]. Telefunken berichtet herbei über die Fortschritte der Entwicklungsarbeiten für das Röhrenprogramm 1938/39, wobei dieses Programm Metallröhren enthalten soll. Da eine Umstellung der Produktion von Glasröhren auf Metallröhren nur allmählich erfolgen kann, ist eine mengenmäßige Steuerung für die Einführung geplant. Dabei sollen die neuen Gleichrichterröhren und Endstufen vorerst weiter als Glasröhren produziert werden, eine Umstellung auf eine äquivalente Ausführung als Metallröhre ist später geplant. Lediglich Gleichrichter und Endstufen für Autoradios sollen von Beginn an als Metallröhren erscheinen, da die benötigten Mengen relativ gering sind. Metallröhren sollen weiters nur für Rundfunkgeräte höherer Preisklasse ab etwa RM 250,- aufwärts im Rundfunkjahr 1938/39 eingeführt werden, da die Produktionsmenge im ersten Jahr die Anzahl von einer Million Stück nicht überschreiten soll.
Als technische Vorteile gibt Telefunken den Horizontalaufbau, der eine höhere Stabilität des Röhrensystems ermöglicht, an. Gleichzeitig fallen die Gitterkappen weg. Gitterkappenbruch oder das Loslassen der Gitterverlötung ist somit bei den Metallröhren nicht mehr möglich.
Die Selbstkostenanalyse zeigt jedoch, dass die Herstellung einer Metallröhre etwa 10% höhere Kosten bedingt als die Röhren der existierenden A-Serie. Parallel dazu gibt es Kalkulationen, dass eine neue Glasröhrenserie etwa 10 – 15% günstiger produziert werden könnte als die A-Serie. Telefunken argumentiert mit den technischen Vorteilen, die einen gewissen Mehrpreis rechtfertigen sollen.
In dem Protokoll wird bereits die Entwicklung der sockellosen Glasröhren erwähnt, die Entwicklung dieser Pressglasröhren ist jedoch weder bei Philips noch bei Telefunken soweit fortgeschritten, als dass diese Röhren bereits als marktreif angesehen werden. Philips behält sich eine Stellungnahme zu den Metallröhren noch vor, Telefunken betont, dass die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen sei. Bei der Einführung der Metallröhren in Deutschland muss auch Philips (Valvo) Metallröhren produzieren, um die Lieferquote weiter halten zu können. Eine Produktion in Drittländern bleibt noch offen, Philips und Telefunken hoffen von Holland bzw. Deutschland aus etwaige Exportmärkte bedienen zu können. Wo die Möglichkeit des Importes in Drittmärkte nicht gegeben ist, verzichtet man gemeinsam auf eine Einführung der neuen Metallröhren im ersten Jahr.
Dann stellt Telefunken das Typenprogramm für die Metallröhren vor. Im weiteren wird der Originaltext des Protokolls wiedergegeben:
Das Typenprogramm enthält folgende Typen
----------------------------------------------------------------- Type Röhrenart Bemerkung
-----------------------------------------------------------------
A-Vorröhren.
EF.10 HF-Pentode ähnlich AF.7
EF.11 HF-Regelpentode mit gleitender
Schirmgitter-
spannung ähnlich VF.3
EH.10 Regel- und Mischexode gleitende
Schirmgitterspannung,
verkürzte und verbesserte
I5/V3 Kurve
ECH.10 Triode-Hexode ähnlich ACH.1 verbesserte
Regelkurve, kleine
Oszillatorspannung
EB.10 Duodiode 2 getrennte Kathoden
EBC.10 Duodiode-Triode ähnlich ABC.1,
gleichzeitig
Treiber für EDD.10
EM.10 Abstimmanzeiger ähnlich EM.2, evtl.
Veränderung des Anzeige-
teils mit Rücksicht auf
gleitende Schirmgitter- spannung der Vorröhren.
B-Endstufen.
EDD.10 Gegenkontakt-B-Entriode stromsparende Endröhre
für Autoradio
EL.10 9 Watt-Endpentode ähnlich AL.4, Heiz-
leistung 5,5 Watt
EL.11 18 Watt-Endpentode ähnlich AL.5, Heiz-
leistung 6,3 Watt,
Schirmgitterstrom
5 mA, Steilheit 8 mA/V.
EBL.10 Duodiode, Endpentode ähnlich ABL.1, Heiz-
leistung 6,3 Watt, Gitter
unten ausgeführt.
----------------------------------------------------------------- Type Röhrenart Bemerkung
-----------------------------------------------------------------
C-Gleichrichter.
EZ.10 indirekt geheizter Doppelweg- Spezialgleichrichter für
gleichrichter Autoradio
AZ.10 direkt geheizter Gleichrichter gleich AZ.1
AZ.11 direkt geheizter Gleichrichter ähnlich RGN 2004 mit ver-
besserter Leistung, bei
gleichen Spannungen
doppelte Ströme der AZ.1
AZ.12 indirekt geheizter Gleichrich- leistungsmässig wie
ter AZ.11, Fadenende im Rohr
mit Kathode verbunden
Das Herausbringen des Gleichrichters AZ.12 ist vorläufig noch nicht geplant sondern nur als Reserve gedacht, falls von den Apparatebauern unbedingt ein indirekt geheizter Gleichrichter verlangt wird. Zu dem Typenprogramm macht Philips einige Bemer-kungen, die natürlich noch nicht als endgültig zu betrachten sind:
1) Das Mischröhrenproblem müsste nochmals eingehend studiert
werden, speziell mit Rücksicht auf die Möglichkeiten einer
grösseren Anwendung bei Ultrakurzwellen für das ganze Band
von 5-12 m in Geräten, die auch längere Wellenbänder
umfassen.
Dazu wäre evtl. eine besonders hohe Oszillatorsteilheit er-
forderlich ( verbesserte Triode-Hexode oder Verbesserung
der Oktode)
2) Philips ist sich noch nicht im klaren über Duodioden mit
getrennten oder mit einer Kathode, speziell auch mit
Rücksicht auf die mögliche Vermeidung von Kombinations-
röhren, wobei natürlich die Selbstkosten eine ausschlag-
gebende Rolle spielen für die Beurteilung der ganzen
Angelegenheit.
3) Philips möchte gern noch klären, ob die von Telefunken
vorgeschlagene EDD.10 (Spezialentwicklung für Autoradio)
leistungsmässig als gross genug zu betrachten ist. Auch bei
Philips besteht der Wunsch nach einer besseren Endröhre für
Autoradio. Falls die von Telefunken vorgeschlagene EDD.10
den Wünschen entspricht, könnte das System dieser Röhre
evtl. in Glasausführung mit Aussenkontaktsockel als Ergän-
zung der jetzigen E-Reihe zu den gleichen Terminen, wie
anfangs erwähnt, herausgebracht werden. Telefunken wird
inzwischen klären, wie für den Fall, dass eine höhere
Nutzleistung erforderlich ist,die Röhre für einen Betrieb
mit 250 V. Anodenspannung aussehen, bezw. unter welchen
Schaltbedingungen die vorhandene Röhre auch bei 250 V.
betrieben werden kann. Bei Betrieb mit 250 V. Anoden-
spannung sind etwa 6 Watt zu erwarten, während bei 200 V.
etwa 4 Watt erzielt werden. Bei den Verwendungs-
möglichkeiten der EDD.10 wird auch noch an die Möglichkeit
eines billigen Autosupers mit Anodenspannungs-Batterie ge-
dacht.
Es wurde nochmals gemeinsam ausführlich über das Kathodenproblem diskutiert, zumal bei der letzten Entwicklungs-Besprechung die Frage aufgeworfen wurde, ob es nicht sinnvoller sein könne, auf eine kleinere Heizspannung zu gehen oder insgesamt die Heizleistung zu erhöhen. Es herrscht bei Philips wie auch bei Telefunken die Meinung, dass die heutige Dimensionierung unbedingt die richtige ist, weil die Abkühlung durch die Fadenenden am geringsten ist bei noch brauchbarer Fabrizierbarkeit. Eine Erniedrigung der Heizspannung würde mit Rücksicht auf die verstärkte Wärmeabfuhr eine Erhöhung der Heizleistung erfordern, um wieder auf die gleiche Leistungs-fähigkeit der Röhre zu kommen.
Bei der Besprechung der EBC.10 wird noch erörtert, ob viel-
leicht die Notwendigkeit besteht, eine EBC.11 herauszubringen mit einem Durchgriff von ungefähr 2% mit Rücksicht darauf, dass in den Schaltungen mit Gegenkopplung eine erhöhte Verstärkung notwendig ist, um bei Grammophonbetrieb noch eine volle Aussteuerung der Endröhren zu erreichen. Diese Frage soll noch weiter geklärt werden.
Bei den Hochfrequenzpentoden wird das 3. Gitter nicht separat herausgeführt, weil sich in der Praxis gezeigt hat, dass kaum ein Apparatbauer davon Gebrauch macht. Will man unbedingt das 3. Gitter benutzen, so hat man immer die Möglichkeit durch Verwendung der EH.10.
Es fragt sich, ob die Röhre EF.10 vielleicht gestrichen werden könnte, speziell mit Rücksicht auf die einzuführende gleitende Schirmgitterspannung. Wahrscheinlich wird dies nicht möglich sein, zumal eine separate Triode als Oszillator für Ultrakurzwellen nicht vorgesehen ist und dafür die EF.10 benutzt werden müsste.
Interessant ist an dem Typenprogramm, dass Telefunken bei den Typenbezeichnungen mit der Zahl 10 startet (z.B. ECH.10). Die Röhren sind später jedoch so bezeichnet worden, dass alle Röhrentypen mit der Zahl 11 starten (z.B. ECH11). Dadurch wird aus der EL.10 des geplanten Typenprogramms die spätere EL11, aus der EL.11 die spätere EL12. Dies gilt auch für die Gleichrichterröhren. Die geplante AZ.12 erscheint niemals als AZ13. Die EF.10 als HF-Pentode ohne Regelcharakteristik erscheint wie bereits in dem Protokoll erwähnt niemals. Lediglich die EF.11 erscheint als EF11 Regelröhre auch unter dem ursprünglich geplanten Namen.
Interessant ist weiters, dass eine Type EBL.10 geplant war, die als EBL11 niemals erschien. Diese Röhre hätte eine kostengünstige Kleinsuperbestückung mit ECH11-EF11-EBL11-AZ11 ermöglicht, falls die EF11 den Pentodenteil der EBL11 hätte aussteuern können.
In der Typenplanung findet sich jedoch keine Projektierung der späteren EBF11 – diese Röhre ist wohl erst später in die Planung aufgenommen worden. Offenbar hat man sich auf Grund der Besprechung später entschlossen die erwähnte Problematik der verschiedenen Anforderungen an den Durchgriff der EBC.10 durch die EBF11 anstatt der erwähnten EBC.11 zu lösen. Die EH.10 wird als EH.11 zwar entwickelt, allerdings nie in Serie auf den Markt gebracht.
Auch der Sockel der Prototypen unterscheidet sich noch von der Serienausführung. Zunächst war eine 4+4 Anordnung der Stifte geplant, die später durch die weithin bekannte 5+3 Anordnung erschien. Auch der Führungsstift der Stahlröhren hatte bei den Prototypen noch eine andere Form mit zwei abgeplatteten Flanken.
Die neuen Röhren werden noch als „Metallröhren“ bezeichnet, erst später wird Telefunken ihre Neuentwicklung als „Stahlröhren“ am Markt anpreisen.
Fortsetzung in Teil 2
[1] Besprechungsprotokolle Philips-Telefunken-Tungsram :
Archiv Deutsches Technikmuseum Berlin. Akt I.2.060 C 6223. S. 8-13
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Dezember 2009 in der österreichischen Sammlerzeitschrift. Information über die Zeitschrift 'RADIOBOTE' sowie die Bezugsquelle finden sich unter folgendem Link: Radiobote
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