Stahlröhren-Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte, Teil 2
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ID: 251305
Stahlröhren-Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte, Teil 2
07.Apr.11 21:29
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![Thomas Lebeth](https://www.radiomuseum.org/image.cfm?image=lebeth_profilfoto.jpg&width=120&height=140)
Ein Beitrag zur Geschichte der Stahlröhrenentwicklung
Die Abstimmung des Stahlröhrenprogrammes, Teil 2
Der erste Teil befasste sich mit der Abstimmung der Stahlröhrenserie zwischen Telefunken und Philips. Nur einen Tag später, am 10. März 1937 fand eine weitere Besprechung statt, an der auch Tungsram teilnahm. Die vorliegenden Dokumente geben einen interessanten Einblick in das Verhältnis und die Absprachen von Telefunken und Philips einerseits, sowie Tungsram als jüngstes Kartellmitglied des „Ardenner Vertrages“ andererseits.
Tungsrams Position im „Ardenner Vertrag“
Im sogenannten „Ardenner Vertrag“ wurde – wie bereits erwähnt – Tungsram als dritter Partner in das von Telefunken und Philips bereits 1931 geschlossene Röhrenabkommen aufgenommen. Tungsram hat durch seine Patentlage, seinen agressiven Marktauftritt und vor allem durch Unterstützung der ungarischen Regierung seine Position am europäischen Markt bis 1933 soweit ausgebaut, dass sich Telefunken und Philips entschlossen, Tungsram eine vertragliche Einigung anzubieten. In dieser Einigung wurde auch die Abstimmung der Röhrenprogramme festgelegt. Während jedoch Philips und Telefunken für die Einführung neuer Röhrenserien alle relevanten Konstruktionsdetails untereinander austauschten, wurden an Tungsram meist nur die mechanischen Abmessungen, der Einsatzzweck und die elektrischen Kenndaten neuer Röhren weitergegeben. Das brachte Tungsram in den Wettbewerbsnachteil alle neuen Röhren „nachkonstruieren“ zu müssen, und kostete somit wertvolle Zeit. Tungsram wurde als benachteiligter Juniorpartner im Röhrenkartell behandelt. Dies erklärt auch die zum Teil großen Abweichungen des Systemaufbaus von vielen Tungsram-Röhren.
Der Inhalt der Besprechung vom 10. März 1937
Im Folgenden wird nun der Inhalt des Besprechungsprotokolls zwischen Telefunken, Philips und Tungsram zusammengefasst [1]. Zu Beginn gibt Telefunken einen Überblick über die geplante Einführung eines neuen Röhrenprogramms für das Jahr 1938/39, welches Metallröhren enthalten soll. Die Bemusterung der Apparateindustrie ab Juli 1937 war bereits im Dezember 1936 angekündigt worden. Telefunken versucht eine Übereinstimmung mit allen Partnern zu erreichen, wonach die Serie zunächst auf eine bestimmte Stückzahl beschränkt, und für den Einsatz in Autoradios und größeren Rundfunkgeräten (ab RM 250,-) vorgesehen ist. Hierbei werden erst die Anfangsstufen mit Metallröhren ausgerüstet, erst später soll eine Umstellung der Gleichrichter und Endstufen von Glas- auf Metallausführung erfolgen, wobei Gleichrichter und Endstufen für Autoradios eine Ausnahme bilden.
Zum Zeitplan der Bemusterung und Verfügbarkeit werden detaillierte Pläne festgehalten: Am 10. Juli 1937 sollen die ersten Musterröhren an die Apparatebauer in Deutschland übergeben werden. Definitive Muster werden für Jahresende 1937 in Aussicht gestellt. Die Auslieferung der Typen für Autoradios soll im Februar 1938 starten, jene von Röhren für Heimgeräte ist ab April 1938 geplant.
Es werden sinngemäß weitere zwischen Telefunken und Philips bereits am Vortag besprochene – und im ersten Teil veröffentlichte – Punkte besprochen, darunter die geplanten Stückzahlen, die mechanischen und konstruktiven Vorteile für die Apparatebauer, sowie die Preisgestaltung und die Stückkostenfrage. Bereits bei der Kostenfrage äußert Tungsram Bedenken, da gerade die Gleichartigkeit und Beschränkung des Typenprogramms wesentlich für eine günstige Preisgestaltung sei. Diesem Argument schließen sich die Partner an.
Im weiteren Verlauf der Besprechung gerät Tungsram jedoch mehr und mehr unter Druck, insbesondere unter dem eingangs beschriebenen Nachteil, eine neue Röhrenserie basierend auf neuen Fertigungstechnologien in sehr kurzer Zeit sozusagen „nacherfinden“ zu müssen, um seine Marktposition verteidigen zu können. Dieser Druck, und die Reaktion Tungsrams läßt sich sehr gut aus dem Originaltext des Protokolls entnehmen:
Im weiteren Verlauf der Diskussion äussert Tungsram seine Meinung zu dem angeschnittenen Problem, die im Wesentlichen dahin
geht, dass die Unsicherheit und scheinbare Unklarheit des Programms für 1938/39 als eine sehr große Gefahr angesehen wird. Insbesondere befürchtet Tungsram, dass die Partner noch im Laufe des Jahres ihre Ideen ändern und evtl. noch ganz neue Konstruktionen herausbringen werden sowohl auf dem Metallröhren- wie auf dem Glasröhrengebiet. Im Speziellen befürchtet z.B. Tungsram, dass damit zu rechnen sei, dass die jetzt vorhandene E-Serie über kurz oder lang in Metall in einer Ausführung ähnlich der amerikanischen angeboten werden könne. Tungsram betont aufgrund dieser Unklarheiten und Unsicherheiten seine sehr schwierige Lage und erklärt, dass Tungsram selbst auch sehr energische und umfangreiche Versuche auf dem Metallröhrengebiet unternommen hat, die in verschiedener Richtung zu sehr brauchbaren Resultaten zu führen scheinen. Zum Schluss
glaubt jedoch Tungsram, wenn die Situation sich weiter so unklar entwickeln würde, dass es für Tungsram am besten wäre, sich der amerikanischen Metallröhrenentwicklung anzuschließen, weil dort
eine geschlossene und ziemlich einheitliche Linie herrscht.
Tungsram würde also in dem Augenblick davon Abstand nehmen, weiter mit den Iravco-Partnern zusammen gemeinsam an der neuen Metallröhrenentwicklung zu arbeiten.
geht, dass die Unsicherheit und scheinbare Unklarheit des Programms für 1938/39 als eine sehr große Gefahr angesehen wird. Insbesondere befürchtet Tungsram, dass die Partner noch im Laufe des Jahres ihre Ideen ändern und evtl. noch ganz neue Konstruktionen herausbringen werden sowohl auf dem Metallröhren- wie auf dem Glasröhrengebiet. Im Speziellen befürchtet z.B. Tungsram, dass damit zu rechnen sei, dass die jetzt vorhandene E-Serie über kurz oder lang in Metall in einer Ausführung ähnlich der amerikanischen angeboten werden könne. Tungsram betont aufgrund dieser Unklarheiten und Unsicherheiten seine sehr schwierige Lage und erklärt, dass Tungsram selbst auch sehr energische und umfangreiche Versuche auf dem Metallröhrengebiet unternommen hat, die in verschiedener Richtung zu sehr brauchbaren Resultaten zu führen scheinen. Zum Schluss
glaubt jedoch Tungsram, wenn die Situation sich weiter so unklar entwickeln würde, dass es für Tungsram am besten wäre, sich der amerikanischen Metallröhrenentwicklung anzuschließen, weil dort
eine geschlossene und ziemlich einheitliche Linie herrscht.
Tungsram würde also in dem Augenblick davon Abstand nehmen, weiter mit den Iravco-Partnern zusammen gemeinsam an der neuen Metallröhrenentwicklung zu arbeiten.
In der Absicht Tungsrams, sich an das amerikanische Metallröhrenprogramm anzulehnen, sehen Philips und Telefunken eine ausserordentliche Gefahr. Es wird betont, dass man alles andere eher tun könne, doch dürfe man auf keinen Fall etwa genau die amerikanischen Röhren und vor allen Dingen auch nicht den amerikanischen „Octalbase“ benutzen. Um die Befürchtungen Tungsrams bezügl. der Unklarheit eines eventuellen Typenprogramms 1938/39 zu begegnen, wird von Philips und Telefunken nochmal ausdrücklich auseinander gesetzt, welche prinzipiellen Möglichkeiten zur Zeit noch vorschweben. Dabei wird insbesondere auch von Philips erklärt, dass man zur Zeit nicht daran denke, neben dem gezeigten Metallröhrenentwurf eine andere Metallröhrenserie für die Saison 1938/39 vorzusehen. Es läuft daneben allerdings noch eine Glasentwicklung, die zur Zeit aber noch nicht abgeschlossen ist, von der eine Preisverbilligung dadurch erwartet wird, dass bei ihr der Sockel in Wegfall kommen könnte. Es handelt sich um eine Ausführung, bei der die Steckerstifte unmittelbar in den Boden mit eingepresst sind. Neben diesen beiden Entwicklungen, d.h. also der bekanntgemachten Metallröhrenserie und der eventuellen Pressglasserie, schweben zur Zeit keine Projekte.
Es ist beabsichtigt, etwa Anfang Mai sich wieder zusammen zu
finden und dann die Situation nochmal durchzusprechen und für die Saison 1938/39 zu einem endgültigen Entwicklungsabschluss zu kom-men, damit eine wirklich klare und einheitliche Entwicklungsrich-tung vorliegt. Zusammenfassend wird also nochmals konstatiert,
dass für soweit die Situation sich heute übersehen lässt, für
1938/39 nur die eine Metallröhrenserie in Frage kommt. Falls keine Metallserie erscheint, kommt eine Glasserie in Frage, oder evtl. wird auch der Status quo ohne wesentliche Neuerscheinungen aufrecht erhalten. Bezüglich des Typenprogramms hat Telefunken eine Zusammenstellung gemacht, die Tungsram übergeben wird. Außerdem erhält Tungsram von allen Typen je 3 Muster. Alle technischen Einzelheiten gehen aus diesen Unterlagen hervor. Die weitere Diskussion wird sich Anfang Mai dann auf alle in Frage stehenden Einzelheiten erstrecken, nachdem Tungsram sich mit den Unterlagen bekannt gemacht hat.
Es ist beabsichtigt, etwa Anfang Mai sich wieder zusammen zu
finden und dann die Situation nochmal durchzusprechen und für die Saison 1938/39 zu einem endgültigen Entwicklungsabschluss zu kom-men, damit eine wirklich klare und einheitliche Entwicklungsrich-tung vorliegt. Zusammenfassend wird also nochmals konstatiert,
dass für soweit die Situation sich heute übersehen lässt, für
1938/39 nur die eine Metallröhrenserie in Frage kommt. Falls keine Metallserie erscheint, kommt eine Glasserie in Frage, oder evtl. wird auch der Status quo ohne wesentliche Neuerscheinungen aufrecht erhalten. Bezüglich des Typenprogramms hat Telefunken eine Zusammenstellung gemacht, die Tungsram übergeben wird. Außerdem erhält Tungsram von allen Typen je 3 Muster. Alle technischen Einzelheiten gehen aus diesen Unterlagen hervor. Die weitere Diskussion wird sich Anfang Mai dann auf alle in Frage stehenden Einzelheiten erstrecken, nachdem Tungsram sich mit den Unterlagen bekannt gemacht hat.
Die sehr aufschlussreiche Schlusspassage des Protokolls erhält mehrere interessante Informationen. Tungsram argumentiert mit der Unsicherheit und den Kosten, die das neue Metallröhrenprogramm bringt, und erreicht schließlich, dass Telefunken für diese Röhren detaillierte Konstruktionspläne und sogar Muster an Tungsram übergeben wird. Die Forschungen Tungsrams am Metallröhrensektor sind heute auch durch Patente zu belegen, und die angedeutete Kooperation mit amerikanischen Röhrenherstellern scheint ein sehr drastisches Druckmittel gegen Philips und Telefunken gewesen zu sein.
Weiters erhellt das Besprechungsprotokoll den Stand der Forschungen in Richtung Pressglasröhren. Diese wurde vor allem von Philips am zivilen Sektor vorangetrieben. Die Unsicherheit Tungsrams scheint insbesondere auch in der Uneinigkeit der Entwicklung von Telefunken (Metallröhren) und Philips (Pressglasröhren) begründet.
Tungsram hat letztendlich das Beste aus der Situation gemacht. Wie bereits in [2] erwähnt, läßt sich mit den nun vorliegenden Quellen sehr klar argumentieren, dass die von Tungsram im Herbst 1938 eingeführten „Stahlröhren“ in Glastechnik mehrere Konkurrenzprobleme für Tungsram lösten. Die Produktionskosten konnten mittels der Glastechnik niedriger gehalten werden als bei den Stahlröhren von Telefunken, deren Herstellungsprozess durch die Einführung komplett neuer Produktionsmaschinen zwangsläufig teurer ausfiel. Weiters verfügten die Tungsram „Stahlröhren“ als erste Großserie in der Rundfunkröhrenproduktion über einen Pressglasteller. Dies erforderte eine sehr gute Beherrschung der Glastechnik, und stellte einen Wegbereiter für die Massenproduktion der 21-er Röhren dar.
[2] Lebeth, Thomas: „Die Metallglasröhren“, Radiobote Nr. 6, 1. Jahrgang, 2006, S. 9ff
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Januar 2010 in der österreichischen Sammlerzeitschrift. Information über die Zeitschrift 'RADIOBOTE' sowie die Bezugsquelle finden sich unter folgendem Link: Radiobote
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