KB100 und wir

ID: 120649
Dieser Artikel betrifft das Modell: KB100 (Fernmeldewerk Leipzig, VEB; Leipzig)

KB100 und wir 
10.Sep.06 15:15
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Mario Spitzer (D)
Redakteur
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KB100 und wir

Via OCR Software aus Radio und Fernsehen 1958

Vor einigen Jahren entstand als Massenbedarfsartikel ein einfaches Tonbandgerät. Dieses Gerät ist unter seinem Namen „Toni" bekannt geworden, und es muss zur Ehre der Erzeuger festgestellt werden, dass sie mit ihrem Kinde selbst nicht zufrieden waren. Immerhin hatte man einiges gelernt und nach einer Zwischenstufe - dem Tonbandkoffer „Tonko" - wurde im VEB Fernmeldewerk Leipzig ein modernes Klein-Magnettongerät mit dem nüchternen Namen KB 100 entwickelt.

Über die Schwierigkeiten, die dem Werk dabei gemacht wurden, wollen wir schweigen.

Entscheidend ist: Der VEB Fernmeldewerk Leipzig hat sich durchgesetzt - das KB 100 ist seit März (58) in Produktion.

Die Konstruktion des Gerätes ist ausgesprochen auf Großserienfertigung ausgerichtet. Hier kommen dem Werk langjährige Erfahrungen zugute. Alle Teile werden vormontiert, verdrahtet und in der Endmontage zusammengesetzt. Netz- und Verstärkerteil montiert man getrennt - natürlich weitgehend wiederum aus vorbereiteten Bauteilen.

 

Alle sieben Minuten wird je ein Teil fertig und gelangt gemeinsam mit dem vormontierten Chassis in die Endmontage, das Prüffeld usw. Die Taktzeit für dieses Band beträgt etwa 13 Minuten, deshalb ist die Aufteilung in zwei Schichten notwendig, um in Übereinstimmung mit der Vormontage zu gelangen. „Polster", d. h. ein gewisser Verlauf an vormontierten Teilen, gleichen Unregelmäßigkeiten in der Fertigung aus.

Die geplanten Zeiten werden oft unterschritten und zur Zeit beträgt der tägliche Produktionsausstoß etwa 80-100 Stück. Geplant sind bis Ende 1958 insgesamt 16000 Geräte, im Jahre 1959 will man 24 000 fertigen.

Uns scheint, dass dies durchaus möglich ist und dass man sogar nächstes Jahr mehr produzieren kann - wenn, ja wenn die Materialzufuhr gesichert ist!

Das ist zur Zeit aber bei der Anlieferung der Kombiköpfe gar nicht der Fall!

Die Beschlüsse des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands fordern von unseren Werktätigen große Anstrengungen. Um das gesteckte Ziel - den Aufbau des Sozialismus - zu erreichen, ist unter anderem eine engere Zusammenarbeit zwischen den Betrieben erforderlich.

Im VEB Fernmeldewerk Leipzig ist man überraschend gut über die Technologie des VEB Messgerätewerkes Zwönitz („Smaragd") oder über RAFENA unterrichtet. Die Leipziger stehen sogar auf dem Standpunkt, dass sie weiter wären als Zwönitz.

Uns fehlt zur Beurteilung dieser Frage zur Zeit die Kenntnis der Zwönitzer Verhältnisse - obwohl einiges für den Leipziger Standpunkt spricht: Beispielsweise die einfachere, material- und zeitsparende Konstruktion des KB 100.

Was aber interessanter ist: Man begegnet in zunehmendem Maße in unseren VEB's immer mehr einem ausgesprochenen Betriebsstolz: Die Kollegen schwören auf „ihren" Betrieb, „ihre" Technologie, „ihre Erzeugnisse"! Sie bemühen sich um Verbesserungen. Natürlich gilt dieser Standpunkt nicht allgemein. Man findet ihn aber immer häufiger und sollte sich hüten, ihn mit dem Betriebsegoismus einiger Wirtschaftsfunktionäre zu verwechseln, der leider auch noch anzutreffen ist! Man fragt sich angesichts dieses gesunden Betriebsstolzes: Ist das nicht der Beginn einer ideologischen Umwälzung, die unseren veränderten Produktionsverhältnissen - dem Sozialismus  entspricht?


Bild 3: Montagebock mit Chassis, welches so belibig gedreht werden kann

Doch zurück zum Fernmeldewerk Leipzig. Gemeinsam mit dem Messgerätewerk Zwönitz hat man in Lehrgängen bis jetzt die Mitarbeiter von 50 ausgewählten Reparaturwerkstätten in der Betreuung von Tonbandgeräten ausgebildet. Natürlich reicht diese Zahl nicht aus, und es gibt noch viel Kummer bei den Tonbandamateuren.


Bild 2: Der Verstärkerteil (oben) stzt sich aus
vormontierten Bauteilen zusammen


Bild 4: Prüfung und Vorabgleich des Verstärkerteiles

Besonders groß ist der Ärger mit den Tonbändern selbst. Einige unserer Leser haben sich wiederholt über die unterschiedliche und zum Teil schlechte Qualität der Agfa-Wolfen-Bänder beklagt. Größer als die Zahl der Amateure ist die jener Laien, die (wenn sie ein schlechtes Band erwischen) dem Gerät die Schuld geben, und darüber ist man im Fernmeldewerk Leipzig begreiflicherweise nicht sehr erbaut.

Zwischen diesem Werk und dem VEB Agfa-Wolfen fand unter anderem am 27.06.1958 eine Aussprache über das leidige Thema „Bänder" statt, mit dem Erfolg, dass Wolfen die von Leipzig beanstandeten Bänder zurücknahm.

Sehr gut, aber was geschieht mit den Tonbändern im Handel? Am KB 100 wird weiter gearbeitet. Man will beispielsweise die verwendete EL84 durch eine Röhre geringerer Anodenverlustleistung ersetzen (unbedingt notwendig, da das Gerät zu warm wird!).

Ein Diodenanschluss zum nachträglichen Einbau in Rundfunkgeräte, die nicht damit ausgerüstet sind, wird bereits zu den Exportgeräten mitgeliefert (RADIO UND FERNSEHEN zeigt wegen des allgemeinen Interesses an dieser Zusatzeinrichtung auf Seite 556 eine kurze Beschreibung für den Anschluss).

Ein Bandstellenanzeiger soll in das Gerät eingebaut werden usw. Bei alldem muss man berücksichtigen, dass die Tonbandgeräteproduktion „nur so nebenbei" vom Werk durchgeführt wird.

Wie der Name des Betriebes - Fernmeldewerk - bereits sagt, liegt der Schwerpunkt seiner Aufgaben auf einem anderen Gebiet. Man ist versucht, nach althergebrachter Weise festzustellen: „Die haben es doch gar nicht nötig!" - doch, sie haben es nötig, nämlich in richtiger Erkenntnis, dass zum Sozialismus eine ausreichende Versorgung der Werktätigen mit Massenbedarfsgütern gehört - auch mit Tonbandgeräten. Und das hat man im Fernmeldewerk erkannt.


Bild 5: Arbeiten am montierten Chassis. Im
Hintergrund das Band mit den Laufwagen


Bild 6: Der Sitz der Arbeiterinnen ist auf Rollen montiert, so dass
diese sich längs des Tisches bewegen kann 


Bild 7: Vor Verlassen des Werkes wird jedes Gerät einer Funk-
tionsprüfung unter Betriebsbedingungen hinsichtlich
Aufsprechen, Wiedergeben und Löschen unterzogen

 

Von unserem Besuch im VEB Fernmeldewerk Leipzig bekamen wir nicht nur einen ganzen Sack wertvoller Informationen mit, sondern auch - leihweise - ein Tonbandgerät KB 100 mit der ausdrücklichen Auflage: Probiert es gründlich aus! Wir sind zwar noch nicht am Ende unserer Versuche (manchmal tut uns das Gerät selber leid), aber einiges lässt sich bereits sagen:

Bei achtstündigem Dauerbetrieb stellten auch wir die zu starke Erwärmung fest. Das Gerät behält zwar seine volle Funktionsfähigkeit, aber der Geruch der erwärmten Bauteile lässt ängstliche Gemüter das Schlimmste vermuten.

Das Gerät ist jedoch erstaunlich robust und überlebte auch größere mechanische Beanspruchungen auf Transporten ohne Schaden. Das Äußere, einschließlich Anbringung der Bedienungsgriffe, Anschlüsse usw. vereinigt Schönheit und Zweckmäßigkeit. Sogar die viersprachige Bedienungsanleitung zeigt ein Loslösen von der berüchtigten Schablone, nach der leider noch viele Betriebe arbeiten.

Sehr praktisch fanden wir den Aussteuerungsmesser mit der Röhre EM 83 und die getrennten Lautstärkeregler für Aufnahme-Mikrofon, Aufnahme-Rundfunk und Wiedergabe. Überhaupt bietet die konsequente Zweiteilung der beiden Aufnahmekanäle (von den getrennten Eingängen bis zu den getrennten Tasten) für den Tonbandamateur viele Möglichkeiten. Die Tricktaste fehlt natürlich auch nicht. Fraglich ist der Wert der Tonblende - oder man wusste nicht, was man sonst mit dem vierten Knopf anfangen sollte?

Als gut muss man die Drucktastenschaltung der elektrischen Funktionen (genau wie die der mechanischen) bezeichnen. Die Bedienung ist für den Laien einfacher als beim „Smaragd."

Die mechanische Ausführung der Tastenschalter ist allerdings noch verbesserungsfähig. Im Werk arbeitet man bereits an diesem Problem.

Bei nicht genauer Übereinstimmung der Ebene: Abwickelspule - Kopfträger - Aufwickelspule schleift das Band an den Spulenflanschen und verschlechtert so die Bandführung. Dieser Fehler wird aber fast stets durch verbogene Spulen verursacht - liegt also nicht am Gerät.

Was lässt sich mit dem Gerät aufnehmen? Das KB 100 ist keine Studiomaschine und will es auch gar nicht sein. Man darf also auch nicht die strengen Maßstäbe, die für kommerzielle Tonbandgeräte gelten, anlegen.

Auf Grund seiner Konstruktion und seiner Bandgeschwindigkeit kann man ohne weiteres Tanzmusik, bunte Abende, Hörspiele usw. konservieren. Die Aufnahme von symphonischer Musik empfiehlt sich nicht; wenn doch, dann nur mit sehr guten Bändern.

Bei der langsameren Bandgeschwindigkeit (4,75 cm/s) ist das Gerät vorzüglich zur Aufnahme von Konferenzen oder sogar als Diktiergerät geeignet - obwohl es dafür eigentlich nicht bestimmt ist. Vergleicht man aber den Preis eines Diktiergerätes Tipsi (Difona Potsdam) (955DM) mit dem des KB 100 (970DM), so drängt sich der Vergleich auf.

Hinzu kommt, dass uns die Wiedergabe eines vorgeführten Tipsi-Gerätes in keiner Weise befriedigen konnte, und sogar die Vermutung offen ließ, dass dem Gerät grundsätzliche Mängel anhaften!

Ohne ein abschließendes Urteil fällen zu wollen, stehen wir doch auf dem Standpunkt, dass der VEB Fernmeldewerk Leipzig mit seinem KB 100 das zur Zeit beste Tonbandgerät dieser Preisklasse auf unserem Markt geschaffen hat.
Autor: Streng (Radio und Fernsehen 1958)

    Mario Spitzer für  


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