Kulturgut : Radios als Kulturgut ; Formen von Radios
Kulturgut : Radios als Kulturgut ; Formen von Radios
Radios sind Kulturgut : sie spiegeln sowohl die jeweils erreichte Technik als auch den Zeitgeschmack, die Mode wieder. Radios sind auch deshalb Kulturgut, weil sie wie das Buch Werkzeuge zur Unterhaltung, Kommunikation und Bildung sind.
Die Technik wird dabei als mehr oder weniger selbstverständlich vorausgesetzt; die Form ist der Mode unterworfen. Im folgenden sei auf zwei Themen eingegangen, die vor allem mit dem Modeaspekt zu tun haben :
- Moden und Radiogehäuseformen
und - frühe farbige Radiogehäuse aus Catalin.
Moden und Gehäuseformen
Brutale Technik
Ganz am Anfang war das Radio einfach ein technisches Gerät, überkommen aus der drahtlosen Empfangstechnik, wie sie um 1920 sich darstellte: einerseits Surplus aus dem 1.Weltkrieg, andererseits Amateurtechnik, wie sie in USA bereits seit vor 1910 ganz legal gepflegt wurde.
TELA / GMR
Es bedurfte einiger Toleranz von seiten der Hausfrau, die Heizakkus mit ihren unvermeidlichen Säurespritzern im Wohnzimmer zu dulden. Schmuckstücke waren die Geräte auch nicht gerade im herkömmlichen Sinn. Es gab einige Ansätze, dies zu ändern, aber den Durchbruch schaffte erst das Netzanschlußgerät.
Zunächst aber versteckte man die Technik im Innern einer mehr oder weniger verzierten Truhe, sogar die Trichterlautsprecher verschwanden bisweilen in einem Kasten oder tarnten sich gar als Tischlampe und auch die Batterien fanden einen Verlegenheitsplatz.
Holtzer-Cabot / AJS / Sterling Gecophone
In Deutschland mussten die Spulen anfangs im Innern des (plombierten !) Kästchens verschwinden, damit der Benutzer keine unerlaubten Wellen abhören konnte. Es gab dann aber dort eine Anzahl offener Geräte, die sog. Ortsempfänger, bei denen aus Preisgründen auf ein eigenes Chassis verzichtet wurde. So reizvoll diese heute für den Sammler sind, zur Einrichtung passten sie noch immer nicht.
Owin Blaupunkt
Als die Membranlautsprecher die Trichter ablösten, kam zum ersten Mal ein allgemeines dekoratives Element ins Spiel. Die Lautsprecher mit ihrer gestalteten Front konnte man schon "herzeigen".
Das Radio wird Einrichtungsgegenstand
Um 1930 herum vereinigten sich Gerät und Lautsprecher (samt Stromversorgung aus dem Netz) zu einer Einheit, die zum Möbelstück wurde. Das Radio konnte/durfte/sollte zur Zimmereinrichtung passen.
Hier darf nicht unerwähnt bleiben, daß es davor nur ein einziges technisches Gerät geschafft hatte, Einrichtungsgegenstand zu werden, d.h. in seiner Form, ungeachtet seiner Funktion, Bestandteil des Interieurs zu sein: die Lampe ! Und nun folgte als zweites Gerät das Radio. Diese Dinge kaufte man nun zwar primär der Funktion wegen: weil man Licht wollte oder eben Radio hören, aber die Auswahl wurde doch überwiegend nach der äusseren Erscheinung getroffen: Was gefällt mir und was kann ich mir leisten !
Form und Mode
Vorher stand der Lautsprecher meist aus Platzgründen auf dem Truhen-Gerät. Was lag also näher,als den Lautsprecher jetzt über dem Radio(chassis) im gemeinsamen Gehäuse anzuordnen: das Hochformat, in USA"Cathedral", wenn spitz, "Tombstone", wenn oben grade, war geboren.
Lorenz Atwater Kent
In Europa nie wirklich populär, entwickelte sich das Standgerät in USA zum Renner. Wer auf sich hielt, hatte eines im Wohnzimmer stehen als "Conversation Piece", etwas zum herzeigen. Es gab dort zwischen 1928 - 1942 über 3500 verschiedene Modelle ! Wie auf jedem heiß umkämpften Markt wurden jetzt natürlich Moden geschaffen, um technisch noch einwandfreie Dinge veralten zu lassen und dafür Neues zu verkaufen, das dann auch bald wieder unmodern und ersetzt werden sollte.
Fairbanks - Morse
Diese Standgeräte gab es zunächst in neugotischen, barocken, und anderen Schnörkeln, um 1933 wurden die Formen glatter und sachlicher, um einige Jahre darauf der Stromlinie Platz zu machen. Mit dem Kriegseintritt der USA 1942 endete diese Ära. Nach dem Krieg nahm der Fernseher den Platz im Wohnzimmer ein als Conversation Piece.
Tube Count Scandal
Bestückt waren diese Console Radios mit 6-48 Röhren, je nach Geldbeutel. Nun kamen einige clevere Hersteller auf eine Idee: In den USA wurde als Qualitätsmerkmal immer die Röhrenzahl und die Anzahl der Wellenbänder angegeben, niemals die Zahl der Kreise wie bei uns. Dass ein 10-Röhrengerät teurer sein mußte als ein 6-Röhrer, war klar.
Wenn man nun einem 6-Röhrer vier Blindröhren(billig, z.B. Gleichrichter) dazu setzte und auch beheizte, damit man es glühen sah, dann ließ sich dieser als angeblicher 10-Röhrer zum Preis eines 8-Röhrengerätes leichter absetzen.
Etwa um 1935 begannen einige kleinere Hersteller mit dieser Methode. 1937 wurde dieser Skandal öffentlich bekannt gemacht und etliche Firmen mussten zumachen, selbst eine so namhafte wie Kadette. Dies geschah einerseits aufgrund gerichtlicher Schritte und andererseits wegen schwindender Verkaufszahlen; der Ruf war ruiniert. Nach 1938 war der Spuk vorbei.
Spitzengeräte wie Scott (bis zu 48 Röhren) und McMurdo Silver (19 Röhren) machten da nicht mit. Hier waren Bassreflexlautsprecher, Mehrkanalverstärker, AFC, mehrere KW-Bereiche, Dynamikexpansion, Motorabstimmung, FM zu finden.
FM gab es ab 1939 (1 Modell). 1940 waren es bereits 5, 1941 waren es 13, und 1942 schon 38 Standmodelle mit FM !
Hochformat - Querformat
Mitte der 30er Jahre wurden die Radios breiter, teilweise doppelt so breit wie hoch. Vielleicht auch, um sich vom billigen Volksempfängerbild zu unterscheiden, denn merkwürdigerweise scheint der VE die Hochformate regelrecht vertrieben zu haben in Deutschland.
Ingelen Geographic
Nach dem 2.Weltkrieg, nach einem tastenden Neubeginn kam eine neue Blüte des Radio-Möbelstils. Die Tastengeräte mit ihren schwellenden Formen und ihrem angenehmen Klang (nicht zuletzt durch UKW) eroberten den Markt. Noch nie zuvor war der Stil so einheitlich, die Mode so streng.
Nordmende Fidelio
Diese heute noch manchmal als "Gebiss-Radios" verachteten Geräte liessen sich auch in die USA exportieren, wo sie von einem kleinen Marktsegment ob ihrer Qualitäten geschätzt wurden. Der dortige Markt hatte nämlich solche Geräte nicht zu bieten. Man setzte in den USA alles auf das Fernsehen, das dort bereits farbig wurde. Guten Klang boten nur HiFi-Geräte, die aber wieder ins rein technische Aussehen zurückfielen. Lediglich die kleinen Zweitgeräte behaupteten ihren Platz mit einer schier unerschöpflichen Vielfalt an Formen und Farben, die schließlich kaum einer Mode folgten außer der: Aufzufallen.
Design - out ?
Schließlich wurde diese Welle abgelöst von strengen Formen, wie sie als Vorreiter Braun und Bang&Olufsen schon einige Zeit vertraten.
Körting Noblesse
Die Kisten wurden immer flacher und unproportionierter und verschwanden schließlich von der Bildfläche, um einfallslosen Komponenten einerseits und aufgeblähten Formen bei mobilen Geräten andererseits Platz zu machen. Letztere sehen oft aus wie vom Bodybuilder auf Muskelprotz gestylt, kurz vor dem Platzen, wobei die Bedienerfreundlichkeit leider oft zu kurz kommt.
Besondere Formgebung
Es gab auch ausgefallene Designs: z.B. in England die runden EKCO´s, die von Wells Coates 1935 speziell für Bakelit entworfen waren. (Hierfür soll NORA beim Anlauf der Fertigung bei EKCO Beistand geleistet haben). Es war eine Form, die sich weder in Holz noch in Metall einigermaßen wirtschaftlich hätte produzieren lassen.
EKCO AD 36
Auch in Frankreich war man kreativ: z.B. Sonora mit den Excelsior- und Excellence- Modellen, die selbst bei Laien heute noch Aufsehen erregen.
Sonora Excellence Sonora Excelsior
Quellen: J.Hill: Radio Radio
R.Hawes: Radio Art
M.V.Stein: Pre War Consoles
Wolff & Jacobson: A Blast from the Past
Bilder: Sammlung des Autors
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Kulturgut II : Radios als Kulturgut ; das Radio wird bunt
CATALIN
Radios aus Kunststoff
Kurz vor 1930 kam Bakelit und etwa 1935 Phenol/Harnstoff, womit aber nur Schwarz, Weiss (schlecht), Braun und einige unansehnlich stumpfe Farben möglich waren. Hier kam Catalin gerade recht. Es war schon in den 20ern für Modeschmuck, Perlen, Würfel, Knöpfe, Schachfiguren, Besteck- und Möbelgriffe etc. bekannt.
Es hieß auch "Marblette", "Fiberlon", "Jeanite", doch vor allem die "Catalin Corporation" nahm sich des neuen Materials an und gab ihm seinen Namen. Bisweilen wird eine Marke zum Gattungsbegriff, wie Grammophon, Linoleum oder Maggi. So auch im Falle Catalin.
FADA 1000
Was ist Catalin ?
Ein Phenol-Formaldehyd-Harz, wie auch Bakelit.
---> Bakelit= Phenol+Formaldehyd+Katalysator ausgehärtet, gemahlen und mit Füllstoff (Schiefermehl, Holzmehl, Asbest etc.) vermischt, nochmals gemahlen, dann heiß unter hohem Druck verpresst.
Vorteil: sofort fertiges Produkt, evtl.entgraten, aber Oberfläche ohne Nacharbeit fertig.
Nachteil: Presse und Preßform teuer, nur für größere Stückzahlen. Material brüchig, innere Spannungen.
---> Catalin=Phenol+Formaldehyd+Katalysator als Gießharz, das mit fast beliebiger Farbzugabe entweder vermischt (gleichmäßige Färbung) oder nur leicht eingerührt (Marmorierung) in billige Bleiformen gegossen und dort 5-12 Tage (!) bei 80°C ausgehärtet wird. Die Nacharbeit (Abkühlen, Schleifen, Wachsen, Polieren) dauert weitere 2 Tage. Kosten dadurch 6x so hoch wie für ein Bakelitteil (großer Stückzahl). Dafür aber in fast jeder beliebigen Farbe von durchsichtig über durchscheinend bis opak und marmoriert herstellbar.
Radios aus Catalin
Anfang der 30er Jahre blieb die amerikanische Radioindustrie wegen der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit auf einem Großteil ihrer Produktion sitzen. Ab 1933 setzte unter F.D.Roosevelt der Aufschwung ein (New Deal).
Während in Deutschland noch "Radio in jeden Haushalt" propagiert wurde, warb die amerikanische Industrie bereits: "A Radio in every room !", d.h. Zweitgeräte für Küche, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Gästezimmer, Büro, Garage u.s.w.
Zu jener Zeit waren Schleiflackküchen,-schlaf- und kinderzimmer modern mit farbigen Beschlägen und Applikationen, oft aus Catalin. Da bot es sich direkt an, ein dazupassendes Radio zu wählen. Ausserdem hatte sich der Geschmack (die Mode) gewandelt hin zu "art deco" und "Stromlinie".
Die Technik im Innern war einfach: ab 1935 meist 4- oder 5-Röhren-Super mit Wurf- oder Rahmenantenne. Manchmal Geradeausempfänger (alte Chassis ins neue Gewand gequält), Allstrom, oft mit Widerstands-Netzschnur.
FADA 1000
Ende der Catalin - Ära
Die Verwendung von Catalin endete etwa 1947, als billigere (farbfähige) Kunststoffe verfügbar wurden (Polyvinyl, Polystyrol, Methacrylate).
Da es bis dahin in Deutschland wie im übrigen Europa keinen Markt für Zweitgeräte gab (er entstand erst mit Philetta, Jubilate und anderen), wurde hier auch kein Catalin verwendet.
Catalin - Radios als Sammelobjekt
Mitte der 70er Jahre verliebten sich erste Sammler in die kleinen bunten Kästchen. 1983 zeigte John Sideli auf der Pier Show, einer NewYorker Antiquitätenmesse, eine Sammlung von 30 Geräten. Sie wurden en bloc für 15000$ angeboten und waren bereits am Vormittag des zweiten Tages verkauft ! Die Medien berichteten über diese kleine Sensation und damit begann heftige Nachfrage nach diesen (nicht gerade häufigen) Catalin-Radios. Die Preise stiegen: vor 1983 höchstens mal 50$, dann 1983 500$, 1990 bis 4500$, heute sind für die teuersten Geräte die 15000$ längst überschritten. Vor allem die leuchtenden Farben: Rot, Blau, Grün, Marmoriert, sind selten und gesucht. Es sind genau die auffälligsten, wenn nicht schreienden Farben, die seinerzeit nur selten gekauft worden waren. Bernsteingelb oder opak Rotbraun sind schon für 500-1000$ zu haben....
DeWald
Quellen: John Sideli: Classic Plastic Radios...
Robert Hawes: Radio Art
Antique Radio Classified
Bilder.: Sammlung des Autors
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Formen Ausdruck einer Epoche!
Ja nachdem ein Radio quasi "Alltagsgegenstand" war verkörpert es immer einen gewissen Lebensstil quasi eine gewisse Epoche. Interessant ist aber auch, dass man nicht nur generell in Epochen unterteilen kann, sondern dass jedes Land, vielleicht noch enger gesehen jede Radiofirma ihr eigenes eigenwilliges Design hatte. Gerade was Österreich in den dreissiger oder vorallem fünfziger Jahren betrifft kann man deutliche Unterschiede zu den Nachbarländern feststellen. Vergleichen wir nur das sachliche Design von Siemens Deutschland und die zum Teil atemberaubenden Designgeräte von Siemens Austria (Grazioso, 560 W, 511 W, 542 U). Aber eben auch rein Firmenbezogen kann man deutliche Unterschiede feststellen: Nehmen wir das Modelljahr 1949/50. Von einfachen, teilweise einfallslosen Gehäusen der Firmen Ingelen (Columbus als Kopie des Heinzelmann) oder die ganzen Philips/Hornyphon oder Zerdik Radios die damals "en vogue" darstellten hin zu den Stars einer Saison die im Design einmalig hervorstachen wie der Kapsch Belaphon oder der Siemens 560 W und auch die Eumig mit ihrer eigenwilligen Skala (323, 325 (ab 1950)) hoben sich da vom Einheitsgesicht schon ein wenig ab. Interessant ist aus heutiger Sicht, dass die Designklassiker immer gefragt sind und Ikonen einer Epoche wurden, so manches 0815 "Gesicht aber in der Versenkung verschwand.
Ja ich glaube Radio war und ist Ausdruck einer Epoche, Designgegenstand und Möbelstück - vielleicht macht sie ja gerade das so liebenswert.
Beste Sammlergrüsse
Günter Denoth - Radiomuseum Neugötzens
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